Cevdet und seine Soehne
er,
nach einer ergreifenden Trauerfeier, an der ganz Ankara teilgenommen hatte, im
Ethnographischen Museum seine vorläufige Ruhestätte gefunden. Muhtar hatte
bereits der Feierstunde im Parlament beigewohnt und dabei geweint wie alle
anderen auch, und um nicht wieder in Tränen auszubrechen, hatte er zunächst
vorgehabt, nicht zu der Feier draußen in der Stadt zu gehen, aber davon war er
wieder abgekommen, denn eine Teilnahme dort gehörte sich einfach. Wie schon bei
der Trauerfeier in Istanbul und bei der Zeremonie im Parlament war es wieder zu
einem Tränenmeer gekommen, und Muhtar, der nicht zu halten war, wenn es
rührselig wurde, hatte wiederum in aller Öffentlichkeit geweint. »Warum
eigentlich?« dachte er nun. Er wälzte sich in dem Doppelbett herum. »Weil es
furchtbar war! Wirklich furchtbar!« Er versetzte sich bei diesen Worten wieder
in den Zustand zurück, der ihn während der Feier erfasst hatte, und wieder
erschien ihm alles so völlig leer und sinnlos. Woran das wohl lag? »Ganz
einfach daran, dass neben dem Tod eines Mannes, dem so viele Menschen
nachweinen, mein eigenes Leben keinen Wert hat … Im Vergleich zu diesem Berg
bin ich nichts als eine Ameise!« Und doch blitzte auf einmal ein Funke in ihm
auf: »Aber ich lebe! Und ich werde sehen, was auf der Welt noch passiert! Und
werde noch vieles erleben! Ja, was wird jetzt geschehen?« Er schämte sich
dieser Gedanken, und um sich dafür zu bestrafen, zwang er sich, wieder an
Atatürks Tod zu denken. Verärgert musste er feststellen, dass er wie jedesmal
wieder zu seinem eigenen Tod und seinem eigenen Leben abschweifte.
Diese Gedanken wurden ihm so lästig
wie die aus dem Kopfkissen aufsteigende Wärme, und ächzend wälzte er sich
wieder auf den Rücken. »Was wird nun geschehen? Mit Celâl Bayar wird es bald
vorbei sein. Er wird sich zurückziehen, und dann kommen endlich die Leute von
İsmet Paşa zum Zug! Die Frage ist nur, wann!« Muhtar hatte vermutet,
dies würde gleich nach Atatürks Tod der Fall sein, aber er hatte sich
getäuscht. Es hatte wohl niemand gewagt, den Anschein zu erwecken, dass es im Land
zu großen Veränderungen kommen würde, und so war vor fünf Tagen Celâl Bayar im
Parlament das Vertrauen ausgesprochen worden. Das
hatte zu bedeuten, dass die alte Regierung noch mindestens zwei Monate im Amt
verbleiben würde. »Zwei vertane Monate, nur damit im Land alles ruhig bleibt!
Dabei braucht das Land nichts notwendiger als eine Umorientierung und neues
Regierungspersonal! Die entsprechenden Leute stehen schon in den Startlöchern!«
Aufgeregt dachte er: »Nicht zuletzt ich selber!« Lachhaft? »Nein, warum sollte
es das sein? Ich habe geduldig abgewartet und bin fleißig gewesen. Ich habe
genügend Wissen, Erfahrung und Courage, um ein Amt befriedigend auszufüllen.
Außerdem habe ich bewiesen, dass ich voller Entschlossenheit meinen eigenen Weg
gehen kann. Warum soll ich meinen Wunsch also lachhaft finden? Mir fehlt es
doch an nichts!« Erregt richtete er sich auf. »Wer in Gottes Namen soll
geeigneter sein als ich? Etwa Tevfık? Oder Faik?« An den Fingern zählte er
die Namen von Leuten her, die schon einmal Minister gewesen waren oder für ein
Amt in Frage kamen, und jedem einzelnen von ihnen fühlte er sich überlegen:
»Oder Muhlis? Doktor Hulusi? Sacit mit seinem radebrechenden Französisch? Gott
sei Dank ist mir keiner von denen über! Außerdem bin ich entschlossener und
couragierter als die alle und gehe seit jeher meinen Weg!« Aufgeregt stellte er
sich vor, wie weit dieser ihn noch führen konnte. Er war İsmet Paşa
eng verbunden, und ganz bestimmt würde dieser ihn in die neue Regierung
berufen! »Wann wird nur dieser Celâl Bayar endlich abserviert? Mit dieser
Regierung soll das Land doch bloß hingehalten werden! Jeder dieser Tage ist
Gold wert und wird dabei nutzlos verstreichen. Jammerschade!« Er ließ sich
wieder auf sein Kissen zurücksinken. Ganz bestimmt würde man ihn rufen!
Ja, bei der Regierungsbildung konnte
İsmet Paşa gar nicht anders, als dem neuen Ministerpräsidenten Muhtar
Laçin vorzuschlagen, der ihm seit jeher treu ergeben war. Bildlich stellte sich
Muhtar die Szene vor, die sich in Çankaya,
dem Sitz des Präsidenten, unweigerlich abspielen würde. In der Rolle des
Ministerpräsidenten sah er dabei abwechselnd Refık Saydam und Şükrü Saraçoğlu, und einen dieser
beiden würde İsmet Paşa also fragen, an wen er denn so gedacht habe,
und noch bevor jener Antwort geben könnte, würde
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