Cevdet und seine Soehne
nicht nur das, er löste sich auch von
den Personen, mit denen er zusammenstand, und kam auf Refık zu. Er war in
Uniform. Da erkannte Refık ihn: Es war sein Cousin Ziya, der an Feiertagen
immer Glückwunschkarten schickte und zu Lebzeiten von Refıks Vater Geld
und danach dann ein Teil des Erbes verlangt hatte. Peinlich berührt lächelte
Refık zurück. Als er dann den Orden sah, den Ziya auf der Brust trug,
schämte er sich ein wenig.
»Na, wie geht’s?« sagte Ziya. »Wie
kommst du denn hierher?«
»Ich bin mit einem Freund zusammen. Auf der Rückkehr
von einer Reise in die Osttürkei!« stammelte Refık.
»Soso, eine Reise in die Osttürkei!«
erwiderte Ziya. Er hatte etwas Entschlossenes an sich, wie Refık es noch
nie an ihm wahrgenommen hatte. »Na, und wie war’s dort?« fragte Ziya und
musterte dabei Muhtar.
Refık stellte Ziya Muhtar und
Refet vor.
»Also, wie hat es dir im Osten
gefallen? Warst du auch in Dersim? Da herrscht doch wieder Ruhe jetzt, oder?
Dafür hat die Armee schon gesorgt.«
»Nein, in Dersim war ich nicht.«
»Ich ja auch nicht. Aber es rührt
sich nichts mehr dort. Denen haben wir es gezeigt! Jetzt können die Reformen
auch dort Einzug halten. Denen haben wir die eiserne Faust der Reformen gezeigt!
So schnell werden die nicht mehr aufmüpfig!« Zu Muhtar gewandt, fügte er hinzu:
»Stimmt’s etwa nicht?«
»Doch, doch, und ob!«
»Im Verein mit der Macht des Staates
und der Reformen ist unsere Armee auch dieses Problems Herr geworden.« Über
sein Gesicht legte sich ein Schatten. »Ohne die Armee keine Reformen. Und die
Armee holt sich immer ihr Recht … Früher oder später! Aber auch andere Kreise
sollten an die Reformen denken. Die Kaufleute zum Beispiel.« Unter seinen Augen
und um die Mundwinkel herum wurde der Schatten noch dunkler. »Wenn sie das
nicht von selber tun, wird die Armee sich ihr Recht mit Gewalt holen. Es gibt
da für niemanden Ausnahmen. Auch für Kaufleute nicht. Wie geht es übrigens
Nigân?«
Refık erwiderte, es gehe allen
gut, was er allerdings auch nur aus Briefen wusste.
»Das mit deinem Vater hat mir leid
getan«, sagte Ziya. »Man darf aber auch nicht vergessen, dass es im Leben
Wichtigeres gibt, als Handel zu treiben. Du scheinst das ja begriffen zu haben,
wo du dich im Land ein wenig umschaust. Oder warst du etwa auf Geschäftsreise?«
Er grüßte einen vorbeigehenden Militär.
»Nein, ich wollte mir nur ein Bild
machen«, erwiderte Refık und schämte sich dabei so sehr, dass er sich mehr
über sich selbst ärgerte als über Ziya.
»Und? Hast du gesehen, wie sich die
Reformen jetzt auch dort durchsetzen? Jetzt siehst du gleich
die Armee. Sie ist eine riesige Macht! Ohne diese Macht, ohne diese eiserne
Faust würde es weder Reformen noch irgendeinen Fortschritt geben, nicht wahr?«
Die Hand, die soeben noch gegrüßt hatte, war nun zur Faust geballt.
»Was für ein Zufall!« warf Muhtar
ein. »Wir haben heute vormittag über das gleiche geredet!«
»Hervorragend!« rief Ziya erfreut
aus. »Die Armee ist alles. Sie ist die Hüterin der Reformen und bekämpft jede
Art von Unrecht und Unordnung. Sie weiß sich auch ihr Recht zu verschaffen,
nicht wahr? Irgendwann kriegt sie es!« Diese letzten Worte waren mit vor Eifer
verzerrtem Gesicht gesprochen. »Ah, da ist er ja!« sagte Ziya schließlich,
drückte Refık eilig die Hand und verschwand in der Menge.
»Wer war denn das? Ein Verwandter
von dir?« fragte Muhtar. »Scheint ein überzeugter Soldat und Reformanhänger zu
sein. Und wie man an seinem Orden sieht, hat er im Unabhängigkeitskrieg
gekämpft, nicht so wie unser Faulpelz von Nachbar … Ach, wie gut mir das tut,
solche Menschen zu sehen! Übrigens, vorhin habe ich gehört, dass es Atatürk
schlechter gehen soll. Ah, tatsächlich, der Ministerpräsident ist da!«
Als wäre mitten im Salon ein
Feuerball herniedergegangen, strömten die Leute auf die Treppe zu, die zur
Ehrentribüne hinaufführte. In dem Gedränge fiel klirrend eine Teetasse zu
Boden. Refık vermeinte einmal den Nacken und eine Wange Celâl Bayars zu
sehen. Als er später einmal glaubte, sein Brillengestell zu erkennen, trat ihm
jemand auf den Fuß.
Ein älterer Abgeordneter sagte:
»Habe ich euch nicht gesagt, wir sollten erst Plätze reservieren?« Er grüßte zu
Muhtar hinüber und schimpfte dann weiter auf seine Frau und seine Tochter ein.
Da rief an der Tür ein Angestellter:
»Benutzen Sie jetzt bitte den anderen Eingang, hier ist alles voll! Bitte
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