Cevdet und seine Soehne
İsmet Paşa auch
schon sagen: »Was ist mit Muhtar Laçin?« Aufgeregt sah Muhtar an die Decke.
»Jawohl, Laçin!« Selbstredend würde İsmet Paşa sich an einen
Familiennamen erinnern, den er seinem Träger selbst verliehen hatte. Vier Jahre
zuvor war das gewesen, nach der Verabschiedung des Namensgesetzes. Es war
damals Mode gewesen, dass man eine hochgestellte Persönlichkeit, zu der man
irgendeine Beziehung hatte, darum bat, für einen selbst einen Familiennamen
auszusuchen. Als Muhtar einmal zum Schachspielen bei İsmet Paşa zu
Gast gewesen war, hatte er nach der letzten Partie seinen Wunsch geäußert, und
nach kurzem Nachdenken hatte der Paşa »Laçin!« gesagt. Muhtar hatte das
Wort auf Anhieb nicht richtig verstanden und den Paşa gebeten, es ihm auf
einen Zettel zu notieren. Diesem Papier mit der zittrigen Unterschrift des
Paşas, das er seither sorgsam verwahrte, hatte er also damals entnommen,
wie sein Familienname lauten würde, und wenn der Name auch weiter keine
Bedeutung hatte, so schien er ihm doch in seiner ruhigen Lautung gut zu seiner
Persönlichkeit zu passen. Das Ruhige, Unaufgeregte lag ihm nämlich. Er hatte es
verstanden, abzuwarten und das Geschehen geduldig zu beobachten. Geduldig, aber
nicht etwa in schläfriger Unentschlossenheit! Zu İsmet Paşa hatte er
stetig ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Er dachte zurück, wie einst der
Grundstein dazu gelegt worden war. Es war in den ersten Monaten seines Mandats
gewesen. Der Paşa hatte die neuen Abgeordneten zum Kennenlernen zu sich
gerufen und sie über ihre Lebensgewohnheiten befragt; wer sich etwa nach dem
Mittagessen gerne ein wenig hinlege. Muhtar hatte sogleich erwidert, dass er es
so halte, und war dem Paşa damit ins Auge gefallen. So richtig geweckt war
dessen Interesse allerdings erst, als er erfuhr, dass Muhtar gerne Schach
spielte. Als Muhtar gerade ein halbes Jahr Abgeordneter war, genoss er dann
schon das nicht unerhebliche Privileg, in İsmet Paşas Residenz zum
Schachspiel geladen zu werden. Gerührt erinnerte er sich an jene Zeit zurück.
Damals lebte seine Frau noch, und er selbst kämpfte im Parlament gegen die
Reformgegner, riss vermeintlichen Reformfreunden die Maske vom Gesicht und
fühlte sich sehr wohl in Ankara, das ihm eine glänzende Zukunft versprach. »Und
diese Zukunft, die Frucht meiner Geduld und meines Eifers, ist jetzt nur noch
einen Schritt entfernt! Ein Schritt bis zum Ziel meines ganzen Lebens!«
Wieder drehte er sich herum in
seinem Bett mit den glänzenden Messingknäufen. »Ein Schrittchen noch!« War das
erst getan, so würde sein ganzes Leben, also nicht nur seine Zukunft, sondern
auch seine Vergangenheit, eine völlig neue Dimension gewinnen. Der
Fortschrittseifer seiner Jugendjahre und die Entschlossenheit, die er im
Mannesalter an den Tag gelegt hatte, würden nun, in der Zeit der Reife, durch
hohe Verantwortung gekrönt. Wodurch konnte der Mensch seinem Leben mehr Tiefe
verleihen als durch ein solches Amt? »Vor allem ein Mensch wie ich!« Er hatte
sich nie als besonders vielfältig erlebt und dem Leben nicht einmal den Genuss
abgewonnen, der ähnlich veranlagten Menschen zuteil wurde. Nach dem Tod seiner
Gattin hatte er – von einem feuchtfröhlichen Abend in Istanbul einmal abgesehen – keine Frau mehr kennengelernt und die Bedürfnisse seines alternden Körpers
unterdrückt, teils aus Entscheidungsschwäche, teils aus reiner Trägheit. Auch
hatte er nie zum Salonlöwen getaugt. In Gesellschaft stand er oft abseits und
hatte das Gefühl, nicht einmal den Stuhl, auf dem er saß, richtig auszufüllen,
geschweige denn den ganzen Salon. Leeres Geschwätz war ihm außerdem zuwider.
Zwar ertappte er sich selbst oft genug dabei, und insbesondere während seiner
Gouverneurszeit hatte er sich von dem Interesse und der Bewunderung, die ihm
entgegenschlugen, nicht selten blenden lassen, doch spätestens in Ankara hatte
er dann gemerkt, dass die Schwatzhaftigkeit keinen entscheidenden Anteil an
seiner Persönlichkeit hatte. Er zählte weiter seine Eigenschaften auf und
dachte: »Von Memoiren abgesehen kann ich auch mit Büchern nichts anfangen!
Außer diesem erhofften Amt gibt es also nichts, was meinem Leben einen tieferen
Sinn geben könnte! Denn Sinn sehe ich nur darin, meinem Land zu dienen und
dadurch aufzusteigen! Und von dem Amt bin ich nur noch einen Schritt entfernt.
Einen winzigen Schritt!« Der aber hing nicht von ihm selbst ab, sondern von
İsmet Paşa … Unruhig wälzte er sich wieder
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