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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Süleyman Ayçelik? Auch nicht. Obendrein bin ich ziemlich blauäugig. Ich
will zurück nach Hause. Und was mache ich dann dort? Wird wieder alles so wie
früher? Dann werde ich gegen den Staat sein. Ob ich mich das traue?«
    »Schreiben Sie mir wieder aus
Istanbul! Vielleicht einigen wir uns ja irgendwann mal!«
    »Ich will für das Land das Beste,
nicht für den Staat!«
    »Weiß ich doch! Ihnen ist nur nicht
klar, dass sich das nicht trennen lässt und der Staat sogar Vorrang hat!«
    »Das ist mir schon klar, und
vielleicht stimmt es ja auch. Ich kann nur nicht danach handeln!«
    Erst hielten die beiden inne, dann
lächelten sie sich plötzlich an wie zwei Menschen, die einander von Grund auf
verstehen. Alle Missverständnisse schienen ausgeräumt zu sein und alles offen
auf dem Tisch zu liegen.
    Süleyman Ayçelik stand von seinem
Schreibtisch auf und ging vor Refık hin und her. Dann setzte er ein so
verlegenes Lächeln auf, wie Refık es nie von ihm erwartet hätte, und
sagte: »Wissen Sie was, junger Mann, ich mag Sie! Ihre Briefe haben mich
gefreut und auch zum Nachdenken gebracht. Als ich von Ihren Projekten gelesen
habe, war ich natürlich verschnupft, aber ich kann Ihnen sagen, als Mensch gefallen Sie mir sehr!« Er klopfte
dabei Refık ein paarmal auf die Schulter. »Ihr Gesicht hatte ich mir ganz anders
vorgestellt. Aber jetzt ist mir alles klar: Sie haben so ein rundes, reines,
friedliches Gesicht …« Verschämt stockte er und sah zur Seite. »Für den Fall,
dass ich vorhin zu grob war, bitte ich um Entschuldigung. Hm, am besten hole
ich uns Tee, ja?« Mit kleinen, hastigen Schritten ging er aus dem Zimmer.
    »Ein rundes, friedliches Gesicht!«
dachte Refık und kam sich wie ein Einfaltspinsel vor. »Ein gutwilliger
Einfaltspinsel! Warum interessiert ihn mein Gesicht so? Weil er meine Dummheit
daraus abliest!« Er stand auf und versuchte sich in der Scheibe des
Bücherschranks zu sehen. »Ein rundes, friedliches Gesicht!« Er dachte an
Perihan und sein früheres Leben. »Dieses runde, friedliche Gesicht habe ich am
Opferfest bei Tisch zur Schau getragen, und an Silvester habe ich es beim
Bingospielen lächeln lassen.« Er erinnerte sich an seinen letzten Tag in
Istanbul vor neun Monaten. Er war in Beyoğlu herumgelaufen, hatte das
Alltagsleben verflucht, war sich beinahe wie ein Christ vorgekommen oder wie ein
seltsames Wesen, für das sich niemand interessierte. »Warum ist das alles
passiert? Und wie? Was bin ich? Warum bin ich vom Weg abgekommen? Ich bin ein
guter Mensch! So sehen mich die Leute zumindest. Ein guter, aufrichtiger,
naiver Mensch. Wenn man sonst keine besonderen Eigenschaften hat, dann heißt es
über einen, man sei ein guter Mensch.« Aus der Küche hörte er Tassengeschepper.
»Wenn etwa dieser Mann mit jemandem über mich spricht, dann wird er sagen:
Refık Işikçi? Jaja,
ein guter Mensch. Grundanständig. Und sein Gegenüber wird denken: Aha, ein
rechter Dummerjan also. Darauf sagt dann Süleyman Ayçelik: Er hat Skrupel, für
den Staat zu arbeiten. Dann schütteln beide wissend den Kopf: Was es doch für
Leute gibt!« Er dachte an das stürmisch verlaufene Gespräch zurück. Zu Anfang
hatte er nichts begriffen und nur naiv gelächelt. Dabei hätte er schon früher
begreifen können. »Eigentlich hatte ich sogar schon begriffen! Als ich diesen
Ziya sah und den Landwirtschaftsminister, nein, nein, schon als ich Kerim Naci
sah.« Er dachte an Herrn Rudolph. »In mich ist nun mal der Teufel gefahren. Ich
bin selbst ein Fremder in diesem Land!« Nun aber genoss er plötzlich das
Bewusstsein des Fremdseins, sog es ein wie Zigarettenrauch. »Es hängt also
nichts von meinen Absichten und Wünschen ab. Ich bin dazu verurteilt, draußen
zu bleiben. Weil in meine Seele das Licht der Vernunft gefallen ist! Alles ist
umgeben von dem, was sich Staat nennt, Reform, Republik. Für mich ist da kein
Platz!« Ihm fielen wieder die Worte Hölderlins ein. »Wie soll da die Aufklärung
kommen?« Wütend dachte er daran, dass Muhtar sich an staatlicher Gewalt
regelrecht delektierte. »Wie soll die Aufklärung kommen? Ich hatte so daran
geglaubt! Aufklärung oder Finsternis? Ist es Finsternis, so bin ich für immer verurteilt.
Ist es Finsternis, so muss ich mich beugen und auf die Freiheit verzichten,
nicht wahr? Aber warum, für wen und auf welche Freiheit? Laut Muhtar kommen wir
schneller voran, wenn wir auf Freiheit und Aufklärung verzichten … Ist das
tatsächlich so? Wer will dann überhaupt

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