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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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waren Mauern, Bäume und Dächer voller Schnee. Die Straßen waren
sonntäglich leer gewesen. Während Ömer ziemlich fröhlich dahinmarschiert war,
hatte er überlegte, wie er sich bei Muhtar entschuldigen sollte, und je länger
er darüber nachgedacht hatte, um so normaler war ihm sein Verhalten
vorgekommen, und eigentlich hatte er sich nicht für ein bestimmtes Vorkommnis,
für einen einzelnen Fehler zu entschuldigen, sondern für sein Verhalten
ingesamt, so dass es im Grunde Unsinn war, sich überhaupt zu entschuldigen. Je
mehr diese Überzeugung in ihm herangereift war, um so mehr hatte ihn auch
wieder das Gefühl vom Vortag überkommen, nämlich dass er stets in allem recht
hatte. Es war wieder genauso wie in seiner Kindheit und frühen Jugend gewesen,
dass er sich grundsätzlich im Recht wähnte, weil er doch so intelligent und
gutaussehend war und jeder ihn mochte, ohne von ihm etwas zu erwarten. Auf
diesem Gang durch die verschneite Landschaft hatte sich ihm sogar aufgedrängt,
dass er nicht nur recht hatte, weil er intelligent, gutaussehend und reich war,
sondern auch, weil die Sonne nur für ihn durch die schneebedeckten Zweige
schien und das Wetter nur so herrlich war, damit er diesen Spaziergang
unternehmen konnte. Als er am Kızılayplatz vorbeigegangen und durch
Seitenstraßen flanierend in die Nähe von Muhtars Haus gelangt war, war er gar
zu dem Schluss gekommen, dass die Freude, die er in seinem Sonntagsstaat am
munteren Dahingehen unter makellos blauem Winterhimmel empfand, durch den Akt
der Entschuldigung und die zu befürchtenden Ermahnungen von Seiten Muhtars doch
erheblich getrübt worden wäre, und neben einem Grundstück, auf dem Kinder eine
Schneeballschlacht austrugen, war er plötzlich umgekehrt und hatte beschlossen,
Nazli vom Hotel aus anzurufen. Auf dem ebenso ersprießlichen Rückweg nach Ulus
hatte er dann allmählich empfunden, dass es gar nicht an ihm war, anzurufen,
sondern vielmehr an Nazli, und er hatte sich erst einmal ins Hotelrestaurant
gesetzt, wo er ein weit schöneres Stück Fleisch verzehrt hatte als das, das er
nun vorgesetzt bekam, und schließlich hatte er befunden, es sei nun genau der
richtige Zeitpunkt, um nach Kemah zu fahren.
    Nun fühlte Ömer sich auch wieder
kräftig und unternehmungslustig, und als er das Restaurant verließ, erwog er
zunächst, Nazli doch anzurufen, doch der Gedanke, es
könne Muhtar ans Telefon gehen, brachte ihn davon ab. Für den Zug kaufte er
sich sämtliche Tageszeitungen sowie eine Wochenzeitschrift. Als der Zug
losfuhr, lobte er sich in seinem leeren Abteil für diese Voraussicht und fing
gemütlich zu lesen an. Als er dann wieder selige Müdigkeit in sich aufkommen
spürte, streckte er die Beine aus, neigte den Kopf zur Seite und überließ sich
dem Schlaf.
    Als er erwachte, war die Sonne schon
aufgegangen und schien auf die Scheibe. Ömer streckte sich und lächelte den
älteren Herrn an, der inzwischen das Abteil bestiegen hatte. Daran, dass der
Fluss entlang der Bahnlinie entgegen der Fahrtrichtung floss, erkannte Ömer,
dass es sich nicht um den Çaltı,
sondern um den Karasu handeln musste und sie somit von Kemah nicht mehr weit
entfernt sein konnten. Nach einem langen Tunnel waren felsige Abgründe zu
sehen, und Ömer war nun vollends wach. »Und gestern war ich noch in Ankara!«
Wie bei jeder Zugreise weckte die vorbeiziehende Landschaft bei ihm das Gefühl,
dass das Leben etwas Reiches und Vielfältiges war, das in vollen Zügen gelebt
werden musste. Schließlich lächelte er wieder den älteren Herrn an, der schon
lange auf ein Gespräch aus war.
    Der Mann war wie ein Beamter
gekleidet und sagte zu Ömer: »Sie haben die ganze Nacht durchgeschlafen.
Beneidenswert!«
    Ömer sah auf die Uhr. »Fast zehn
Stunden muss ich geschlafen haben!«
    »Die ganze Nacht!« wiederholte der
Mann kopfschüttelnd, als wunderte er sich, wie man sich so arglos einer
Maschine anvertrauen konnte. »Ich dagegen habe kein Auge zugetan und nur Ihnen
beim Schlafen zugesehen.« Er sei Katasterbeamter in Erzincan, und die Eisenbahn
habe ihn zwar nach Ankara gebracht, doch sei von ihr nicht weniger Schlechtes
als Gutes zu erwarten. Er habe in Ankara wegen seiner Schmerzen einen guten
Arzt konsultieren können, doch habe der auch nichts anderes zuwege gebracht,
als ihm irgendeine Medizin zu verschreiben. Als der Mann erfuhr, was Ömer beim Eisenbahnbau
geleistet hatte, zeigte er sich ob Ömers Jugend beeindruckt, und mit Blick auf
den Ring an Ömers Finger

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