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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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was schreibt er so?«
    »Ist ziemlich kompliziert. Ich
verstehe es auch nicht so ganz. Von den alten Griechen und ihrer Zivilisation
und von …«
    »Jaja«, sagte Ömer gähnend. »Was ich
sagen wollte … Was machst du dieses Wochenende?«
    »Heute bleibe ich zu Hause und
morgen wahrscheinlich auch.«
    »Ich gehe in einer Stunde in den Club, und Nermin
fährt zu einer Freundin.«
    Refık dachte: »Das mit Nermin
habe ich ihm immer noch nicht gesagt! Aber ist das auch meine Aufgabe?«
    »Perihan und du, ihr könntet doch
auf Mama aufpassen?«
    »Machen wir!«
    »Jetzt dauert diese Grippe bereits
zehn Tage an, ich mache mir schon Sorgen. Es wird doch hoffentlich nicht diese
eine Grippe da sein, wie heißt sie gleich wieder, die spanische oder
asiatische?«
    »Nein, glaube ich nicht.«
    »Meinst du also nicht? Gut. Tja, und
noch was …«Zögernd ließ er seinen Blick über die Bücher und Papiere auf dem
Tisch schweifen. »Soll ich den Mitgliedsbeitrag für dich zahlen?«
    »Ach, den habe ich ganz vergessen!
Ich hatte gar keine Zeit, mich darum zu kümmern!«
    Verständnislos blickte Osman seinen
Bruder an, als machte er sich Sorgen um seinen Geisteszustand. »Pass auf dich
auf, Refık! Ich bin noch ein wenig unten, dann gehe ich in den Club.« Mit
bedrückter Miene verließ er den Raum.
    Refık kritzelte auf einem
Papier herum. Schließlich ertappte er sich dabei, dass er nichts anderes tat,
als zwischen Dreiecken und Vierecken Linien zu ziehen. »Was
soll denn das? Ich vertrödele nur meine Zeit! Dabei muss ich doch diesen
Hölderlin lesen.« Er versuchte sich wieder in das Buch zu vertiefen, das
keinerlei innere Erregung in ihm auslöste. »Und warum muss ich das eigentlich?
Weil es zu dem Lesepensum gehört, das ich vor der Entwicklung meines Programms
absolvieren will. Und weil ich es brauche, um auf den Brief von Herrn Rudolph
zu antworten.« Wieder las er ein Stück. Vor Ungeduld zappelte er mit den
Beinen. Es ging in dem Buch um die alten Griechen, das goldene Zeitalter Athens
und später dann um einen griechischen Aufstand, gegen die Türken wohl, wie
Refık vermutete. Obwohl Refık eine französische Ausgabe des von Herrn
Rudolph so gern zitierten Textes hatte und sich mit dem Lesen redlich Mühe gab,
konnte er dem Buch nichts abgewinnen. Bei dem Begriff Griechen kamen ihm stets
in wallende Gewänder gekleidete Menschen in den Sinn mit Bart und breiter
Stirn, in tiefe Gedanken versunken, so wie er sie aus Filmen und Schulbüchern
kannte. Er las noch etwas weiter und stellte schließlich fest, dass er ganze
vier Seiten weit gekommen war. »Und was stand auf diesen vier Seiten? Durch den
Einfluss von Diotima kommt meine Seele, das heißt die Seele Hyperions, wieder
ins Gleichgewicht, und Bellarmin … Hat es geläutet? Nein, das war das
Gebimmel der Trambahn … Und Kunst und Philosophie und Staatsform seien in
Athen Früchte des Baums, nicht Wurzel … So sollte es bei uns auch sein …
Aber unser Staat ist ein ganz anderer … Ja … Und warum gibt es bei uns
keine Philosophie? Die bräuchten wir nämlich! Und von der Vernunft ist die
Rede. In Athen gab es Vernunft, und alles war auf sie gebaut … In der Türkei
gibt es keine Vernunft. Auch muss zur Vernunft sich Geistes- und
Herzensschönheit gesellen, das ist schön gesagt. Wo war das noch mal?« Er fand
die Stelle und strich sie an. Am Geschmack in seinem Mund merkte er, dass er
ständig an seinem Bleistift kaute. »Wie ich den schon zugerichtet habe! Wie
spät ist es eigentlich? Was hatte Perihan heute vor?« Er stand auf und ging aus
dem Zimmer.
    Eilig ging er die Treppe hinauf in
sein Schlafzimmer. Perihan saß vor dem Spiegel. Melek krabbelte auf dem Boden
herum und sah sich neugierig den geschwungenen Pfosten des Jugendstilbettes an.
    Refık sah, dass Perihan ihn im
Spiegel anblickte, und wandte die Augen ab. »Ich kann mich heute nicht aufs
Lesen konzentrieren!«
    »Lies nur weiter!«
    »Irgend etwas plagt mich …« Er
ging zum Fenster. »Es ist kalt heute. Du, Osman hat da vorhin was gesagt …«
Da Perihan nichts erwiderte, drehte er sich zu ihr um. »Hörst du mir zu?«
    Perihan malte sich die Lippen an. Sie
hielt den Lippenstift etwas von sich weg, sagte: »Ja!« und schob die Lippen
dann wieder vor.
    »Osman hat gesagt … Wenn ich
wieder mal von zu Hause weggehe, also so wie letztes Jahr, dann wird keiner das
mehr tolerieren, und du angeblich auch nicht. Stimmt das?«
    Perihan lachte. »Willst du etwa
schon wieder weg?«
    »Ich frage bloß

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