Cevdet und seine Soehne
Daraufhin habe ich Muhittin angerufen. Ich habe nachgerechnet: Seit
Ömers Verlobung, also seit zweieinhalb Jahren, waren wir nicht mehr alle drei
zusammen!«
»Hat Ömer dieses Mädchen verlassen?«
»Das weiß ich nicht. Eigentlich
wollten sie im Frühjahr heiraten. Aber es hat sich nichts getan, und er war
monatlang tatenlos in Kemah …«
»Soll ich morgen mitfahren?«
»Was willst du denn dort? Wir hocken
ja nur zusammen und quatschen.«
»Ich kann mit der Kleinen oben
bleiben«, schlug Perihan vor, sah dann aber Refıks Gesicht. »Schon gut,
schon gut, ich fahre nicht mit. War nur so dahingesagt. Mir gefällt nur der
Gedanke nicht, dass du mit den beiden wieder herumdiskutierst. Sie sind
Junggesellen, sie trinken, sie verachten alles bloß …«
»Also erstens trinkt Muhittin nicht
mehr. Und dass er alles verachtet, würde mich wundern, denn er hat jetzt ein
Ideal, auch wenn es noch so blödsinnig ist. Und Ömer … Ach Perihan, lass
doch, die zwei sind meine besten Freunde!« Er setzte sich neben seine Frau.
»Aber du kommst wieder ins Zweifeln,
wenn du mit denen beisammen bist. Einer allein geht ja noch, aber zusammen …«
»Lassen wir doch dieses Thema
jetzt«, sagte Refık und zeigte zur Tür. Dann stand er auf.
Ayşe war ins Zimmer getreten,
hinter ihr Remzi. Ayşe nahm Melek auf den Arm. »Jetzt zeigen wir dir das
Meer!«
Perihan lächelte. Neben Melek wirkte
Remzi noch dicker und ungeschlachter. Refık ging hinaus und dachte: »Die
heiraten jetzt auch und bekommen Kinder.« Als er an der Waschküche vorbeikam,
sah er darin den Zauberer und seinen Sohn,
die ihre Sachen zusammenpackten. Er ging zu ihnen hinein, um den Mann
versöhnlich zu stimmen.
»Haben Sie gut gemacht! Gratuliere!«
»Danke.«
In Übereinstimmung mit seinem
Programm gedachte Refık nun, Volksnähe zu demonstrieren und dabei vom Volk
noch etwas zu lernen.
»Wie gehen die Geschäfte?«
»Momentan gut, jetzt sind die
meisten Beschneidungen. Und auch im Ramadan läuft es gut, aber sonst …«
»Ja, klar, im Ramadan!« sagte
Refık und redete sich dabei ein, er könne sich gut in den Mann
hineinversetzen. »Und was machen Sie sonst so?«
»Ich nähe Steppdecken. Der Junge ist
im Winter sonst im Dorf, aber da will er nicht mehr hin, die verspotten ihn,
sagt er. Das Nähen habe ich ihm nicht beibringen können. Man hat mir gesagt, er
hat Talent zum Schauspielern, das soll ich ihn lernen lassen. Ich wollte ihn
anmelden, da hat es geheißen, das geht nicht, der hat ja keinen Schulabschluss.
Was soll ich jetzt machen mit ihm? Ihn im Winter wieder ins Dorf schicken? Ich
selber habe ja nichts. Als Tagelöhner kann er auch nicht arbeiten, weil er
Asthma hat!«
Refık sann sofort über eine
Lösung nach. »Also, der Junge braucht eine Arbeit!«
»Eine Arbeit! Wo gibt es denn eine?
Sie sind reich, Sie haben alle Möglichkeiten!« Zu dem Jungen sagte er: »Los,
nimm die Tasche!«
Refık dachte an die Lager der
Firma, ob es da nicht … Aber dann fiel ihm Osman ein. »Tja!«
»Wir gehen jetzt zu Turgut!« sagte
der Zauberer.
»Man müsste mal drüber reden«,
murmelte Refık und stellte beschämt fest, dass sein Hilfseifer
augenblicklich erlahmte, sobald die Interessen der Firma auf dem Spiel standen.
»Ich erkundige mich mal!« Er begleitete die beiden zum Garten hinaus.
»Natürlich hat es keinen Sinn, die Leute einzeln retten zu wollen!« dachte er,
aber das war ihm kein Trost. Er ging die Außentreppe hinauf, am
pflanzenumrankten Geländer vorbei. »Aber was tue ich, um sie in ihrer
Gesamtheit zu retten?« Er dachte an sein Buch. Abgesehen von einem Artikel mit der Überschrift »Utopie
und Realität«, in dem ein Professor darüber gespottet, aber in erster Linie
sein eigenes enzyklopädisches Wissen zur Schau gestellt hatte, war dem Buch
keinerlei Interesse zuteil geworden. »Es war ja auch ein falscher Ansatz …«
dachte er. »Was wir wirklich brauchen, sind Maßnahmen im kulturellen Bereich.
Was genau, das muss ich noch erforschen. Und vor allem muss ich herauskriegen,
wie wir unser Leben überhaupt in so eine Richtung lenken können!« Er versuchte
sich an der Vorfreude auf das Treffen mit Ömer und Muhittin aufzurichten.
»Endlich wieder mal so richtig reden mit den beiden!« Wenn ihm auch schon
schwante, dass die Interessen seiner Freunde sich verlagert hatten und er
Gefahr lief, ein wenig lächerlich zu scheinen. Oben auf dem Balkon setzte er
sich zu Osman, der zwischen Nermin und Sait Nedim saß.
»Der Zauberer ist
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