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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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eingegriffen, doch
wusste er nicht, wie.
    Der Zauberer nahm einen Schluck aus
dem Glas und ließ auch seinen Sohn daraus trinken. Dann hielt er das Glas dem
Gehilfen hin, einem adrett gekleideten Jungen in kurzer Hose und Hosenträgern.
»Jetzt wird unser junger Freund dieses Wasser trinken, und sogleich wird es aus
seinem Bauch wieder herausfließen!« Mit einem roten Tuch wischte er sich den
Schweiß von der Stirn.
    »Ne bois pas aus dem Glas!« rief da
die Mutter des Jungen.
    »Genau, ja nicht!« sagte Nermin und
rief der dabeistehenden Emine zu: »Hol schnell ein sauberes Glas!« Der Junge,
der das Glas schon am Mund hatte, sah ganz erschrocken und mit
zusammengepressten Lippen seine Mutter an, um nur ja nichts falsch zu machen.
    »Wir brauchen kein anderes Glas!«
rief der Zauberer verärgert. »Er hat ja schon getrunken!« Das hatte er aber
nicht. Der Zauberer ließ sich von seinem Sohn einen Schlauch geben, hielt ihn
dem Jungen an den Bauch und öffnete ihn. »Und schon fließt ihm das Wasser aus
dem Bauch!« Das Wasser rann aus dem Schlauch auf den Boden. Der Zauberer musste
einsehen, dass er auch damit keinen Stich machte, und stöpselte den Schlauch
wieder zu. Dann schlug er erneut mit dem Zauberstab zu und ließ sich dabei
rückwärts die Mütze vom Kopf fallen. Schließlich kauerte er auf dem Boden und
suchte nach der Mütze, fand sie aber nicht, da inzwischen sein Sohn
Baraufgetreten war. Nun lachten die Kinder wenigstens.
    »Das sind schon recht altbackene
türkische Scherzchen!« monierte Nermin.
    »Gegen ein gutaufgeführtes
Schattenspiel habe ich ja nichts«, erwiderte Sait Nedim. »Aber was da beim
Ramadan und bei Beschneidungen so alles als Belustigung geboten wird! Ich weiß
ja nicht! Ich habe mal diesen Naşit
gesehen, also worüber da die Leute lachen, das begreife ich nicht. Aber meinem
Vater hat es gefallen.«
    Sait Nedims Frau Atiye hatte endlich
den richtigen Winkel gefunden, um die lachenden Kinder, den
Zauberer und den im Bett liegenden Cemil aufzunehmen.
    Nermin fragte Osman: »Wo hast du denn
den aufgetrieben?«
    »Was passt dir denn nicht? Turgut hat ihn auch engagiert.
Und die Kinder lachen doch!«
    Auch Refık wollte zur
Verteidigung des Zauberers etwas sagen, aber es fiel ihm nichts ein. Er brachte
lediglich ein verschämtes »Der ist doch ganz nett, der Mann!« heraus und nahm
sich vor, über das Schattenspiel und andere türkische Traditionen etwas zu
lesen. Er dachte, wenn der Mann sich schon nicht aufs Scherzen verstand, so
hätte er sich eben mehr als Illusionist versuchen sollen, aber auch in der
Hinsicht hatte er außer der grotesk schiefgegangenen Wassernummer und einem
albernen Kunststück mit diversen Schachteln nichts gebracht.
    »Die arbeiten wahrscheinlich mit den
Beschneidern Hand in Hand«, sagte Fuat.
    »Eigentlich ein bemitleidenswerter
Mensch«, warf Güler ein.
    Refık sah Güler an. Dann ging
er ins Haus, wo Perihan und Melek waren. Melek hatte beim Anblick des Zauberers
mit seiner seltsamen Mütze zu weinen begonnen. Alle hatten sich darüber
amüsiert, aber Refık hatte der Mann nur noch mehr leid getan. Perihan saß
in einem der Zimmer am Fenster und gab Melek Tee zu trinken.
    »Ayşe und Remzi wollen Melek an
den Strand mitnehmen«, sagte sie.
    »Wollen die nicht lieber für sich
allein sein?« fragte Refık.
    »Nein, nein, sie haben es selber
angeboten. Was hast du denn schon wieder? Hätten wir nicht kommen sollen?«
    Aufgrund der Situation und
gewissermaßen in erster Anwendung des immer noch nicht fertigen Programms, das
Refık für ein »anständiges Leben« ausarbeiten wollte, hatten sie beschlossen,
diesen Sommer nicht mit den anderen nach Heybeliada zu ziehen. Als Anfang Juni
alle anderen losfuhren, waren Refık und Perihan froh gewesen, das ganze
Haus für sich allein zu haben, und hatten sich sogar darauf geeinigt, im Herbst
in eine eigene Wohnung zu ziehen, doch als dann im Juli die große Hitze
hereinbrach und Melek einen sonderbaren Ausschlag bekam, waren sie schließlich
doch auf die Insel gekommen, genau in der Woche, in der Cemil beschnitten
wurde.
    »Nein, nein, es ist gut, dass wir
gekommen sind. Das hat uns auf andere Gedanken gebracht.«
    »Aber morgen fährst du doch wieder?«
    »Aber doch nur, um mich mit Ömer und
Muhittin zu treffen. Am Montag abend komme ich mit Osman zurück!«
    »Was erzählt Ömer denn so?«
    »Wie gesagt, wir haben nur kurz
telefoniert. Er ist seit vier Tagen aus Kemah zurück und will sich mit mir
treffen.

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