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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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fort. Er sagt,
sein Sohn sei begabt, aber er finde keine Arbeit für ihn. Ich habe mir
überlegt, ob wir ihn nicht irgendwo unterbringen könnten?«
    »Der hat dich um Arbeit gebeten?
Sein Geld hat er schon bekommen. Arbeit also … Du weißt doch, dass wir nur
Lagerarbeiter und Schreiber brauchen können!« sagte Osman.
    »Soso, der wollte Arbeit?« sagte
Sait Nedim. »Na ja, ich weiß ja nicht, was mit dem Jungen ist, aber der Vater
ist alles andere als ein guter Zauberer. Nur vom Gesicht her, da hat er so was,
das erinnert mich an einen Kutscher meines Vaters, der sah ihm unheimlich
ähnlich. Bayram Baba haben wir den genannt. Ein braver Mann! Und wie er immer
auf seiner Kutsche saß …«
    Osman fragte Refık besorgt: »Du
hast ihm doch hoffentlich nichts versprochen?«
    Von Cemil in seinem Bett war ein Wimmern
zu hören. Seine Mutter, die sich gerade mit Leyla unterhielt, setzte sich zu
ihm und redete besänftigend auf ihn ein. Osman rief hinüber: »Tut es sehr weh?«
    Refık fragte sich, was die in
einer Ecke sitzende Lâle und die anderen Mädchen wohl von der Beschneidung
hielten. »Es ist eine primitive, stupide Angelegenheit!« dachte er und stand
auf.
    »Wo willst du denn schon wieder hin?
Bleib doch sitzen, wir sehen dich sowieso kaum!« sagte Nigân.
    Aber Refık ging ins Haus.
»Jawohl, primitiv, barbarisch und abstoßend, so ganz nach unserem Geschmack! Da
wird ein Stückchen Haut für überflüssig erklärt und weggeschnitten. Was soll
das?« Ihm fielen die hygienischen Gründe ein, die dafür oft angeführt wurden.
»Nun, sagen wir, es hat einen Sinn; wozu aber dieses Tamtam herum? Es wird
jedermann verkündet, dass geschnipselt werden soll, und die Leute rücken mit
Geschenken an. Und obwohl man sich als Junge der Sache eigentlich schämt, freut
man sich, weil man etwas bekommt.« Er dachte an seine eigene Beschneidung zurück.
Als er gesehen hatte, dass ein Ereignis, für das er sich schämte und das er am
liebsten verheimlicht hätte, von jedermann freudestrahlend begrüßt wurde, und
dass man ihn mit Liebesbeweisen und Geschenken nur so überhäufte, als hätte er
weiß Gott was geleistet, da hatte er seine ganze Scham vergessen und sich ohne
weiteres einreden lassen, dass er stolz auf sich sein dürfe. »Schon damals ist
klargeworden, dass es mir an Charakter fehlt! Dass dem so ist, gibt mir jetzt
Perihan immer zu verstehen. Und wenn ich mit Ömer und Muhittin zusammen bin …
Ja, kann schon sein, dass ich mich beeinflussen lasse!« Als er Perihan oben
nirgends fand, ging er in sein Zimmer und legte sich aufs Bett. »Warum bin ich
nur hierhergekommen! Wären wir doch zu Hause geblieben! Das Geschenk hätte ich
dem Jungen auch später geben können.« Wenn er wie alle anderen auch ein
Geschenk besorgt hatte, unterschied er sich da überhaupt noch von den
engstirnigen, widerwärtigen Leuten, die ihn einst bei seiner Beschneidung über
den grünen Klee gelobt hatten? »Was hätte ich machen sollen? Hätte ich ihm
nichts geschenkt, wären sie mir böse gewesen und hätten gedacht, ich mag den
Jungen nicht. Und vor allem hätte Cemil selber das gedacht! Wenigstens habe ich
ihm ein Buch gekauft, und noch dazu Robinson Crusoe, von dem doch
Rousseau schon sagt, etwas Besseres könne man einem Kind gar nicht schenken.
Nur: Damit es nicht so aussieht, als würde ich dem Jungen nichts Teureres als
ein Buch gönnen, habe ich dazu noch eine Armbanduhr gekauft!« Er stellte sich
wieder vor, wie verblüfft und erfreut Cemil am Morgen gewesen sein musste, als
er nicht nur diese, sondern auch die anderen Uhren, die er bekommen hatte,
nebeneinander angelegt hatte. Und Lâle, die man nie so feiern würde, war
aufgefordert worden, ihrem Bruder zu gratulieren. »Furchtbar ist das alles!
Beschneidungsfeiern sollten verboten werden! Welche Regierung könnte das
machen? Wir bräuchten eine Reformregierung, aber mit den Reformen ist es ja
vorbei. Was können wir also tun? Zuerst einmal unsere Beziehungen mit der
Familie auf ein Mindestmaß reduzieren. Aus dem Haus ausziehen, so wie wir es ja
schon beschlossen haben. Und denen Daniel Defoe zu lesen geben und den ganzen
Rousseau.« Er hatte für Cemil eine französische Ausgabe von Robinson Crusoe gekauft.
Nun dachte er düster, dem Jungen werde das wohl zu mühsam sein. Es gab auch
eine türkische Version unter dem Titel 28 Jahre auf einer einsamen Insel, aber
sie war gekürzt und unbeholfen übersetzt. »Wie soll das Volk den Robinson dann
lesen?« Ihm kam ein Gedanke.

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