Cevdet und seine Soehne
Aufgeregt stand er auf und suchte nach Perihan. Er
fand sie unten am Kühlschrank. Sie trank ein Glas Wasser und sah ihn fragend
an.
»Komm schnell, ich muss dir was
erzählen!« Perihan konnte gerade noch ihr Glas abstellen, da zog Refık sie
schon mit sich. »Gehen wir raus dazu!«
Perihan sah bedeutungsvoll zum
Balkon hinauf.
»Gut, dann lieber hinten!« sagte
Refık und lächelte den neugierig blickenden Yılmaz an. Sie gingen hinters
Haus, wo es gleich ziemlich steil den Hügel hinanging und sie aufpassen
mussten, nicht auf Piniennadeln auszurutschen.
»Jetzt red doch schon!« bat Perihan.
»Wir machen uns ja lächerlich.«
»Du darfst mir jetzt bitte nicht
böse sein! Bitte steh zu mir!« sagte Refık hastig. »Ich gehe nach dem
Sommer nicht mehr in die Firma!«
»Was willst du dann machen?«
»Einen Verlag gründen, in dem lauter
Bücher herauskommen, die man unbedingt lesen muss! So wie Robinson Crusoe! Und
dann habe ich mir noch gedacht, dass man Beschneidungen verbieten sollte. Aber
das ist nicht so wichtig! Ich werde einen Verlag gründen!«
»Hast du dir das gut überlegt? Ist
das wirklich notwendig? Und verdienst du genug Geld damit?«
»Geld und Familie sind dabei
zweitrangig!« Refık schaute einen Bienenstock an, um Perihan nicht ins
Gesicht sehen zu müssen. Eine Grille zirpte.
»Ich will jetzt nicht losweinen,
aber wenn wir hierbleiben, dann tue ich es. Gehen wir zurück!« sagte Perihan.
»Was gibt’s da schon? Eine
widerwärtige Feier. Ein Beschneidungsfest! Ist dir eigentlich klar, wie
furchtbar das ist? Ohne Rücksicht auf die kleinen Mädchen, die das alles mit
ansehen, staffieren sie den armen Jungen heraus und setzen ihm diese
lächerliche Mütze auf. Dann steht alles um ihn herum und redet dummes Zeug. Und
wie sie über den Zauberer gespottet haben! Pass auf, fall nicht hin! Gehen wir
auf unser Zimmer. Dabei ist der Zauberer tausendmal mehr wert als sie. Diese
Güler ist auch da. Du glaubst doch nicht, dass ich mich zu der setze oder?«
»Ich glaube überhaupt nichts.«
»Ich kann es aber machen, wenn du
willst. Ach, wie lang soll das noch so weitergehen? Du bist mir doch nicht
böse, oder?«
»Bin ich nicht!« sagte Perihan
lachend.
»Weiß selber nicht, warum ich von
der angefangen habe!« sagte Refık munter. »Du glaubst doch hoffentlich
nicht, jetzt geht wieder diese Debatte los? Ach, stimmt, du glaubst ja gar
nichts. Ömer geht die Frau auch auf die Nerven. Zeig mal dein Gesicht, lachst
du etwa?« Beruhigt sah er, dass Perihan keine Miene verzog.
»Morgen fährst du hinüber, ja?«
»Ja. Was sollen wir jetzt machen?«
Perihan ging auf den Balkon zu und er hinterdrein. »Na gut, setzen wir uns zu
ihnen, sonst gibt es ja doch nur Gerede. Aber mir ist ernst mit der Sache!« Als
sie auf den Balkon kamen, küsste der Rechtsanwalt Cenap gerade Nigân die Hand.
»Noch so ein Kasper!« murmelte Refık.
»Aber doch wenigstens ein harmloser!
« versetzte Perihan lachend.
56
DAS VERHÖR
»Nişantaşı!« dachte Ömer, als er aus dem Taxi
stieg. »Da vorne ist auch der Stein, von dem das Viertel seinen Namen hat. Was
steht da eigentlich drauf?« Er sah zu Refıks Haus und ging über die
Straße. »Hm, die Läden alle zu? Ist er gar nicht da? Doch, bestimmt. Was denke
ich eigentlich, wenn ich das Haus so sehe? Momentan denke ich, dass ich über
die Straße gehe und dass es ein schöner Sonntag morgen ist. Wie spät? Fünf nach
elf.« Er ging an der Mauer entlang bis zum Gartentor. »So wild, wie er immer
auf unsere Gespräche ist, horcht er bestimmt schon auf die Glocke und stürzt
gleich heraus!« Er öffnete das Gartentor, und die Glocke schepperte, aber kein
Refık erschien. »Ja, was denke ich so? Er wird mir Fragen stellen. Und was
soll ich ihm antworten? Ich werde schulternzuckend sagen: Tja, doch nichts
geworden mit dieser Nazli! Und er wird sich wundern und nachbohren.« Als er die
zwei Stufen zur Haustür hinaufstieg, fiel ihm auf, dass er noch nie zu dieser
Tageszeit, bei solchem Licht, hiergewesen war. »Immer erst abends und nachts,
zum Poker und so …«
Da ging die Tür auf, und Refık
umarmte ihn. »Alter Junge, wie geht’s dir?«
»Gut! Ist sonst niemand da?«
»Nein! Ich habe Muhittin Bescheid
gesagt, aber er ist noch nicht gekommen.«
Ömer trat ein und sah sich gleich in
dem großen Spiegel. Wenn er in Refıks Haus kam, hatte er immer das Gefühl,
besonders gut auszusehen, doch diesmal war das nicht der Fall. »Wahrscheinlich
weil niemand da ist, der
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