Cevdet und seine Soehne
die
Fensterläden Muhittin erblickte, empfand er zunächst Freude, aber dann sah er
wieder Muhittins zornig-forschenden Blick, und ihm sank der Mut. »Jetzt werden
wir wieder unsere Leben aufeinanderprallen lassen und sehen, wer am besten
dabei wegkommt! Und jeder wird behaupten, dass er derjenige ist! Hätte ich
Refık das mit Nazli doch schon vorher erzählt, als Muhittin noch nicht da
war! Wenn wir doch was zu trinken hätten! An so einem heißen Tag kommt denen
das komisch vor. Wofür leben die eigentlich?« Er hörte Muhittins Stimme und
ging ihm entgegen. Als er merkte, was die Stimme in ihm wachrief, war ihm
plötzlich, als sei er ganz umsonst nach Istanbul gekommen.
Muhittin sagte: »Wie ich ihn mir
vorgestellt hatte! Na, wie geht’s?« und streckte Ömer die Hand entgegen. »Na,
gib mir schon die Pfote! Hm, was denkst du, wie findest du mich?«
»Gut siehst du aus!«
»Tatsächlich?« Muhittin sah sich im
Wohnzimmer um. »Was sollen die Leichentücher?« fragte er Refık. Mit seinem
Scherz nicht zufrieden, setzte er sich mürrisch hin.
»Willst du Tee?« fragte Refık.
»Klar. Immer das gleiche …«
»Blendet dich vielleicht das
Sonnenlicht?« sagte Ömer.
»Nein, das Auge des Teufels scheut
nicht das Licht! Na, erzähl schon!«
»Was soll ich erzählen? Ich schlag
mich so durch!« erwiderte Ömer. Er wollte aber nicht verlegen wirken. »Ich
wohne jetzt in Alp, in einem alten Herrenhaus.«
»Und all die Pläne, die Träume, der
ganze Ehrgeiz?«
Ömer sah Muhittin an, als redete der
in einer Fremdsprache zu ihm. Dann wandte er sich lächelnd zu Refık, als
wollte er sagen: »Es ist bestimmt interessant, was unser Freund hier sagt, doch
verstehe ich leider nichts!« Als er vermeinte, seine Botschaft perfekt
vermittelt zu haben, atmete er auf.
Muhittin ließ nicht locker: »Na,
deine Pläne, dein Ehrgeiz, was ist damit?«
»Habe ich nach wie vor!« versetzte
Ömer. Er merkte, dass seine Verlegenheit nicht zu verbergen war. »Hat sich
nichts geändert. Ich tue ja auch was. Zum Beispiel habe ich das Dorf da in den
Bergen mit Strom versorgt. Also das Herrenhaus, meine ich …«
»Ach ja?« warf Refık ein. »Du
hast also Licht dorthin gebracht!«
So naiv, wie das vorgebracht war,
musste Ömer Muhittin noch lächerlicher erscheinen. »Aber nicht das Licht der
Aufklärung, sondern stinknormales Lampenlicht!« sagte er.
Refık war sein Vorpreschen nun etwas
peinlich. »Na ja, die beiden ergänzen sich ja. Und ich denke, das Licht der
Aufklärung ist doch das wich–«
»Gibt es nichts zu trinken hier?«
»Wo bin ich denn hier gelandet?«
rief Muhittin. »Ihr scheint mir beide ganz schön zu spinnen!«
»Soll ich uns was zu trinken
besorgen?« fragte Refık. »Aber was ist dann mit dem Tee?«
»Besorg was, worauf wartest du
noch!« sagte Ömer, und als Refık Muhittin ansah, fügte er hinzu: »Der
trinkt wohl kaum was! Oder, trinkst du was? Hm, nicht? Du hast dich ja in den
Altai zurückgezogen, in die Urheimat der Türken, ins Kloster zum Roten Apfel!
Obwohl, in Klöstern wird eigentlich gesoffen!«
»Finde ich überhaupt nicht witzig!«
erwiderte Muhittin, um ein entschlossenes Auftreten bemüht.
»Ist mir völlig egal!« konterte
Ömer. »Also, was kaufst du jetzt, Refık, am besten Rakı, aber
einheimischen, das ist unserem Freund hier wichtig. Und nimm noch gegorene
Stutenmilch dazu!« Das letzte Scherzchen fand er wohl selbst nicht so gelungen,
doch wollte er Muhittin einfach damit treffen und sah ihn daher grinsend an.
»Du gefällst dir wohl sehr!« sagte
Muhittin.
»Nein, mir gefällt niemand, ich bin
da ganz so wie du!« Er deutete auf Refık. »Mit dem da ist es bestimmt
ganz anders, sonst würde er nicht so leben wie … na ja, wie er eben lebt!«
Refık war es nur recht, dass
das Gespräch sich so entwickelte. Er wollte Ömer etwas entgegnen, doch fiel ihm
nichts ein. »Soll ich auch eine Kleinigkeit zu essen kaufen? Muhittin, du
kannst dir ja schon mal Tee nehmen!«
»Ja, kauf was zu essen!« sagte Ömer.
»Ohne dich wären hier gar nicht zusammengekommen!«
»Unsere Freundschaft ist schon was
Besonderes!« sagte Refık beim Hinausgehen.
Sofort setzte Muhittin eine eisige
Miene auf. »Ich sag dir zum letztenmal, dass ich solche Scherze nicht liebe!
Ich will nicht bereuen müssen, dass ich da bin, ja? Ich wäre sowieso fast nicht
gekommen.«
»Ach ja? Was hattest du denn sonst
vor? Ich habe mir neulich deine Zeitschrift gekauft und drin herumgelesen.«
»Fang ja nicht mit
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