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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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dem Thema an!« Nervös
stand Muhittin auf. »Ich wäre nicht gekommen, wenn Refık nicht noch mal
angerufen hätte.«
    »Den siehst du anscheinend auch
nicht oft. Warum trefft ihr euch denn nicht?«
    »Wahrscheinlich, weil wir uns nichts
zu sagen haben! Und ich habe auch nicht viel Zeit. Sowieso ist Refık ganz
komisch geworden.«
    »Wie denn?«
    »Ach, ich weiß auch nicht … Einmal
diese schon an Dummheit grenzende Selbstlosigkeit und dann auch noch die
ständigen Sinnkrisen, na ja, du weißt schon, was ich meine. Früher war er mehr
so einer von uns, aber jetzt kommt er mir vor wie ein Ausländer. Ich habe ihm
auch schon gesagt, dass er bald ein Europäer ist … In der Hinsicht gleicht er
dir!«
    »Du hast dich doch überhaupt nicht
geändert, Muhittin!« erwiderte Ömer gelassen.
    »Wieder mal eine deiner
oberflächlichen Beobachtungen! Ich habe mich nämlich durchaus geändert. Ich
stehe jetzt hinter einer Sache!«
    »Das meinst du doch nur! Warst du
nicht immer dagegen, so große Töne zu spucken? Glaubst du wirklich, dass du an
etwas glaubst?«
    »Lass doch diese Feinheiten! Was hat
das schon zu bedeuten, ob ich daran glaube oder nicht? Ich tue etwas! Und das,
was ich tue, hat einen Sinn! Was zählt dabei, wie überzeugt ich bin?«
    »Darf ich das als Geständnis
werten?«
    »Ich sage dir doch, lass diese
Spitzfindigkeiten. Du meinst immer noch, es geht nichts über Intelligenz, was?«
Er steckte die Hände in die Taschen und sah nicht mehr Ömer, sondern die
verhüllten Möbel an.
    Ömer merkte, dass Muhittin eingeschnappt
war. »Ich mag es nicht, wenn mir etwas ähnelt«, dachte er. »Was habe ich hier
eigentlich zu suchen? Ich habe doch so ein ruhiges und reiches Leben dort!
Oder? Ach, ich weiß nicht … Wo soll ich leben?«
    Ohne die Hände aus den Taschen zu
nehmen, ging Muhittin umher. Er wechselte in den Nebenraum über und rief von
dort: »Was hältst du eigentlich von diesem Haus? So und so oft sind wir
hierhergekommen, aber nie war es so leer. Als ob …«
    Auch Ömer ließ seine Blicke
schweifen. Plötzlich war aus dem Nebenraum ein Klavier zu hören. Muhittin
klimperte herum. Dann klappte er geräuschvoll den Klavierdeckel zu.
    »Wie geht’s jetzt mit dir und diesem
Mädchen?«
    »Da geht überhaupt nichts mehr«,
erwiderte Ömer.
    »Hat die Klavier gespielt? Wahrscheinlich
nicht, denn ich habe mir immer vorgestellt, du heiratest mal eine, die Klavier
spielt. Refıks Schwester, die wäre doch was für dich gewesen!« Er lachte.
»Was die sich gefreut hätten! Du hättest dann Cevdet die Hand geküsst, und
heute würdest du ehrfurchtsvoll die Fotos von ihm hier anschauen. Du großer
Mann, du Gründer unserer Familie, du unvergleichlicher Mensch, wie sind wir dir
dankbar!« Er kam wieder ins Wohnzimmer.
    »Amüsier dich nur«, sagte Ömer.
    Sie schwiegen. Ömer zündete sich eine
Zigarette an.
    Muhittin ging wieder im Zimmer
umher. »Wo bleibt der Kerl denn?«
    »Heute ist Sonntag, da wird er
nichts Offenes gefunden haben.«
    »Von wegen! In Nişantaşı hat
sich einiges getan, während du weg warst!«
    Die Gartenglocke ertönte, und bald
darauf kam ein aufgeregter Refık mit mehreren Schachteln herein.
    »Na, worüber redet ihr gerade?«
    »Dieses und jenes«, sagte Muhittin.
    »Ich bin gleich wieder da!«
Refık eilte in die Küche hinüber und rief dabei, was er alles gefunden
hatte und was nicht. Mit Tellern und Besteck kam er zurück. »Essen wir lieber
an dem kleinen Tisch!«
    »Aber nicht, dass wir den ruinieren!
« sagte Muhittin.
    »Dem passiert schon nichts«,
erwiderte Refık, und dann erst merkte er, dass Muhittin nur
gespottet hatte. Er war ihm aber nicht böse, denn war dieser Spott nicht ein
Zeichen von Vertrautheit? Schnell holte Refık noch den Rakı und die
Gläser.
    »Siehst du, für dich hat er auch
eins, Muhittin!«
    »Ich trinke aber nichts. Am Nachmittag
muss ich sowieso weg!«
    »Komm, wir wollten doch so schön reden!«
    »Das lässt sich auch in zwei Stunden
erledigen!«
    »Gut, dann fangen wir an, meine
Herren!« rief Ömer und öffnete die Rakıflasche. Er schenkte ihnen ein und
stand dann feierlich auf. »Der Tag des großen Verhörs ist angebrochen! Auf
unseren Schultern sitzen die Engel, die all unsere Taten niederschreiben. Das
sind doch Engel, oder? Egal! Nun wird offen zutage treten, wer im Leben was
gemacht hat und auf wessen Seite das Recht ist!« Unverdünnt kippte er seinen
Rakı hinunter. »Warum mache ich das?« dachte er. »Das braucht es doch

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