Cevdet und seine Soehne
kamen gerade durch
Beşiktaş. Osman hatte in der Zeitung gelesen, um neben dem Grab
Barbarossas ein Denkmal für den Seehelden und einen Park zu schaffen, sei man
dabei, einen Friedhof zu verlegen und zahlreiche alte Häuser abzureißen.
»Hier wohnt doch dieser eine Freund
von Refık. Der lässt sich gar nicht mehr blicken!« sagte Nigân.
»Meinst du Muhittin?«
»Der, der immer so mürrisch
dreinsah. Lässt Refık sich etwa von dem beschwatzen?«
»Jetzt hör doch auf, Mama!«
»Worüber sollen wir dann sprechen?
Es wird überhaupt nicht mehr geredet bei uns!«
»Morgen gehen wir bummeln in
Beyoğlu!« sagte Nermin.
Nigâns Miene heiterte sich auf, und
auch Ayşe lächelte. Aufattuend fragte Osman nach, wie der
Fisch zubereitet werde, worauf wiederum Ayşe erzählte, was für einen Fisch
sie im Hause von Fuat gegessen hatte. Als sie durch Maçka kamen, musste Nigân
an ihre alte Freundin Kutsiye denken, die im Sommer verstorben war, und an der
Teşvikiyemoschee kamen ihr die Kinderjahre in den Sinn, und vergnügt
erzählte sie von ihrer Mutter. Mitte der Woche würde sie ihre Schwestern
besuchen. Sie rügte Osman, weil er seine Tanten nie anrufe. Beim Anblick des
Ladens des Obsthändlers Aziz sagte sie, dass ihr Garten wohl nie wieder in
Schuss gebracht werde, was aber insofern nicht schlimm sei, als sie wegen der
Baustelle nebenan ohnehin nicht mehr hinauskönne. Kaum waren sie jedoch
angekommen, ging sie sogleich im Garten umher, um zu sehen, was sich auf dem
Nachbargrundstück tat.
»Keriman!« dachte Osman in der
Eingangshalle vor seinem Spiegelbild. »Ach, wie alt ich doch geworden bin!« Er
nahm sich vor, innerhalb seines geregelten Tagesablaufs die Zahl der Zigaretten
zu verringern. Als er doch mit einigem Schwung die Treppe nahm, kam er sich
schon nicht mehr so alt vor. Er ging in das Schlafzimmer. Ja, das Halstuch war
noch in seinem Versteck. Er ging zur Toilette und sah dabei Nermin die Treppe
heraufkommen. Genüsslich wusch er sich die Hände, und gemäß seinem Vorsatz,
jegliche Wartezeit auszunutzen, setzte er sich dann unten hin und las Zeitung.
Alles war voller Kriegsnachrichten. »Franzosen rücken an der Siegfried-Linie
vor. Deutsche gehen zum Gegenangriff über.« In Erinnerung an seinen
Militärdienst und an Kriegsfilme versuchte Osman sich in die Lage der
kämpfenden Soldaten hineinzuversetzen, doch kam nicht viel mehr dabei heraus,
als dass er selber sich plötzlich bedroht fühlte. Er sah Bomben auf Istanbul
herniedergehen, auf seine Lager in Karaköy und in Sirkeci, sah alles zunichte
werden, die Bilanzbücher, die Wechsel, die Bestände, ja die Kunden, und wollte
sich nur verstecken und schlafen, bis alles vorüber wäre. Er merkte, wie er
schon wieder gähnte. Der Spaziergang in Bebek hatte ihm gutgetan. Er fühlte
sich voller Spannkraft und dachte daran, was er am Nachmittag mit Keriman
unternehmen würde; viel Aufregendes kam ihm in den Sinn. Um nicht mehr einfach
so dazusitzen, stand er auf und ging in die Küche wie ein kleiner Junge, der
ungeduldig auf das Essen wartet.
Yılmaz und Emine waren dabei, den
Fisch zu putzen.
»Wann essen wir denn?« fragte Osman.
Amüsiert fiel ihm wieder ein, dass die beiden die Zeit ja nicht in Minuten,
sondern in Worten maßen, und er trällerte leise vor sich hin: »Zeit ist Geld!«
»Sind Refık und Perihan schon
da?« fragte Emine.
»Ich weiß nicht. Um eins wollten sie
dasein. Ihr könnt den Fisch gleich aufs Feuer geben!« Durch das Küchenfenster
sah Osman draußen im Garten seine Mutter.
Sie schlich dahin, begleitet von
ihren Enkeln, und immer wieder blieben sie stehen und lugten zu der Baustelle
hinüber, die Kinder neugierig, Nigân feindselig.
»Eins, zwei, drei, vier und sechs!«
Osman ging die paar Stufen zum Wohnzimmer hinauf und nahm dabei, wie als Kind
schon, die beiden letzten Stufen auf einmal. »Ich bin hier geboren! Vor
dreiunddreißig Jahren!« Seit dreiunddreißig Jahren benutzte er diese kleine
Treppe. Abgesehen von seinem Militärdienst und ein paar Auslandsreisen war er
nie von hier fortgegangen. Er sah Nermin und Ayşe zusammensitzen, und weil
er so gerne Leute auf frischer Tat ertappte, fragte er sie überfallartig:
»Worüber redet ihr gerade? Raus mit der Sprache!« Aber dann fiel ihm wieder
ein, warum er eigentlich so vergnügt war, und so setzte er sich und versteckte
das Gesicht hinter einer Zeitung.
»Über Ayşes Verlobung haben wir
geredet!« sagte Nermin.
»Was ich anziehen soll!«
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