Cevdet und seine Soehne
Nicht einmal diese kleinen Fluchten sind mir mehr ein Trost. Dass ich Kraft
aus ihnen beziehe, ist reine Einbildung! Bin ich manchmal nicht sogar froh,
wenn sie wieder geht und ich arbeiten kann? Nein, nein! Ich sehne mich doch so
nach ihr!« Er schielte zu İlknur hinüber. »Sie ist nicht sehr schön, aber
furchtbar lieb! Ich könnte nicht mehr leben ohne sie! Warum sagt sie denn
nichts?« Sie kamen an der Moschee vorbei. Ahmet suchte nach Worten, aber seine
Laune war dahin. Sie sahen beide zu einer Katze hin, an der sie vorbeikamen,
sprachen aber keinen Ton.
Vor der Polizeiwache sagte
İlknur plötzlich: »Ich habe mich gestritten daheim!« An dem Jeep rotierte
noch immer das Blaulicht.
»Ach so!« dachte Ahmet beruhigt.
»Was war denn?« erkundigte er sich.
»Die haben gefragt, wohin ich um die
Zeit noch will, und ich habe gesagt, ich gehe zu dir. Dann war wieder das
gleiche Theater.«
»Die mögen mich nicht, was?«
»Das weißt du doch!«
»Ich bin auch niemand zum Mögen!«
Ahmet versuchte sich an einem Lächeln.
Sie schwiegen wieder, aber Ahmet war
nun nicht mehr besorgt. »Bald tauen wir wieder auf!« dachte er. Wie von selbst
blieben sie beide vor der Buchhandlung neben der Schule stehen. Im Schaufenster
waren billige Krimis und Liebesromane, Kalender, Neujahrsgeschenke und teure
Bildbände ausgestellt. Zwei Tage zuvor hatte Ahmet dort ein Buch über
Modigliani entdeckt und einen Blick hineinwerfen wollen. Das Buch war aber noch
in Zellophan verpackt und mit einem Schleifchen von vornherein als
Geschenkartikel deklariert gewesen, und der Buchhändler wollte es Ahmet auch
nicht aufmachen. »Es sei denn, Sie kaufen es«, hatte er gesagt. Während sie nun
vor dem Schaufenster standen, wollte Ahmet das erzählen, aber er traute sich
nicht. Als sie wieder losgingen, fing İlknur zu reden an. Bei ihr zu Hause
lese ihre Mutter immer vom Abreißkalender vor, was als Tagesmenü vorgeschlagen
werde, und wenn ihrem Vater das jeweilige Essen nicht recht sei, dann reiße sie
einfach das folgende Blatt ab und probiere es damit, und noch vor Ende Februar
sei daher Jahr für Jahr der Kalender schon zerpflückt. Ihre Mutter hebe die
Blätter aber auf und verwerte auch die anderen Rezepte. Ahmet lachte. İlknurs Eltern hatten
also ihre liebenswerten Seiten. Schade, dass sie ihn nicht mochten. Er erzählte
nun seine eigene Geschichte, und da er sie effektvoll vortrug, brachte er
İlknur damit zum Lachen. »Jetzt ist alles wieder gut«, dachte er. Sie
bogen um die Ecke und sahen schon das Licht, das im vierten Stock von Ahmets
Haus brannte.
»Heute sind alle bei Cemil. Meiner
Oma geht es nämlich wieder schlechter.«
Leise gingen sie die Treppe hinauf.
Der Aufzug war seit zwei Wochen kaputt. Als sie im vierten Stock waren, hörten
sie von drinnen Gelächter. Auf dem Stockwerk von Nigân war es
mucksmäuschenstill. İlknur atmete schwer, als sie oben ankamen, und Ahmet
tadelte sie scherzhaft wegen ihrer Raucherei. Er sperrte die Tür auf und machte
Licht.
»Ah, schön!« rief İlknur beim
Hineingehen. »Nach diesem Geruch hatte ich mich gesehnt!«
»Nach dem Geruch oder nach mir?« Ahmet
ging in die Küche, um das Teewasser aufzusetzen, und stellte sich dabei vor,
wie İlknur seine Bilder betrachtete. Schnell ging er wieder zu ihr
hinüber.
»Und, wie findest du sie?«
»Das da hast du wohl zuletzt
gemacht, oder? Gut geworden! Aber den alten Händler da hast du irgendwie
verpfuscht.«
»Verpfuscht? Wieso?« fragte Ahmet
aufgeregt nach.
»Na schau mal hier, die ganzen
Details an seinem Gewand, die Karos, das gefältelte Taschentuch. Warum
verlierst du dich in so unwichtigen Einzelheiten?«
Das versetzte Ahmet einen Schlag. Er
hielt İlknur für seine unbestechlichste Kritikerin.
»Du fängst mit was an, willst was
ausdrücken und tust es auch, aber aus irgendeinem Grund verzettelst du dich
dann. Wen interessiert denn dieses Taschentuch! Und bei den Schatten willst du
demonstrieren, dass du die auch wirklich gut malen kannst, wie jemand, der das
gerade frisch gelernt hat. Oder nimm die Altersflecken auf der Hand von dem
Mann, die waren vorher einfach nur da, man hat sie kaum wahrgenommen, aber jetzt
stechen sie einem ins Auge, so stark hebst du sie hervor! Warum denn?«
»Vielleicht aus Mangel an
Selbstvertrauen«, sagte Ahmet zögernd.
»Oder weil du dem Betrachter nicht
traust! Oder aus Angst davor, unverstanden zu bleiben! Ich bin eine ziemliche
Klugscheißerin, was?«
»Heute war Hasan da! Er
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