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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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alten Familiengeschichten herumwühlen?«
    »Hast ja recht. Was Ähnliches hat
Hasan wohl auch gemeint. Aber die Zeit und das Leben sind –«
    »Was hat Hasan sonst noch gesagt?«
    »Sonst noch?« Ahmet zögerte erst,
aber dann redete er doch. »Er will eine Zeitschrift herausbringen, und ich soll
ihm dabei helfen.«
    »Was für eine Zeitschrift?«
    »Du sagst das doch nicht weiter,
ja?« bat Ahmet verlegen.
    »Na hör mal! Also was für eine Zeitschrift?«
    »Die wollen anscheinend Leute
zusammentrommeln, die zwischen der Arbeiterpartei und der Nationalen
Demokratischen Revolution lavieren. Aber das steckt noch in den Kinderschuhen;
keine Ahnung, ob es was wird.« Ihm kam wieder der Putsch in den Sinn, aber er
sagte rasch: »Ich habe ihm gesagt, dass ich mein Möglichstes tue. Es freut mich
ja, wenn ich da mein Scherflein beitragen kann.«
    »Ach, dein Scherflein?«
    »Nein, bitte nicht eins von deinen
Wortspielen!«
    İlknur zündete sich wieder eine
Zigarette an. »Und sonst?«
    »Und sonst war noch meine Schwester hier.«
    »Und was macht die so?«
    »Das Übliche. Mein Schwager würde
sagen, sie hat wieder eine ihrer Krisen. Ich mag sie aber trotzdem.«
    »Das ist eben deine
kompromisslerische Art.«
    »Wie bitte?«
    »War nur ein Scherz!«
    »Mein Schwager soll uns übrigens
zusammen gesehen haben, in Nişantaşı. Was mir gar nicht passt.
Er scheint dich regelrecht gemustert zu haben.«
    Zum erstenmal wirkte İlknur
etwas verunsichert. »Was genau passt dir nicht daran?«
    »Ich weiß nicht, irgendwie kommt mir
alles besudelt vor dadurch. Der hat uns doch bestimmt gleich nach seinen
eigenen Kategorien eingeordnet, verstehst du, was ich meine?«
    »Naja …«
    »Begreif doch! In was für Kategorien
denkt ein Kerl wie mein Schwager? Sexualität, Ehe, finanzielle Verhältnisse,
Familie …« Er schämte sich seiner Worte. »Jemandem, der mich so beurteilt,
möchte ich gar nicht unter die Augen treten!«
    »Dann gehen wir eben nicht mehr auf
die Straße!« rief İlknur.
    »Genau, das machen wir. Ich weiß
sowieso nicht, wieso ich hinausgehe. Hasan hat einen Vers von Nâzım Hikmet
zitiert: Was du suchst, ist nicht in deinem Zimmer, sondern draußen.«
    »Bravo! Dieser Hasan gefällt mir!«
    »Wenn der Vers doch nicht von ihm
ist! Was hast du so gemacht?«
    »Nichts Besonderes. In die Uni gegangen.«
    »Und wie war’s da?«
    »Wie soll’s schon sein? Viel
Geschwätz, diverse Intrigen, Pöstchenkämpfe.«
    »Kriegst du die Assistentenstelle?«
    »Die ist immer noch nicht geschaffen
worden.«
    »Das dauert ja ewig! Hau doch mal
auf den Putz!«
    »Bin schon dabei. Ich habe denen
gesagt, dass ich nach Österreich gehe und dort meinen Doktor mache!«
    »Wie bitte?«
    »Das hatte ich sowieso schon vor.
Ich habe mich auch beworben und bin sogar genommen worden.«
    »Das heißt, du gehst weg von hier?«
Ahmet versuchte seine Erregung zu verbergen.
    »Bei denen komme ich auf keinen
grünen Zweig. Da gehe ich lieber.«
    »Vielleicht wird es ja doch was mit
der Stelle …« Damit İlknur sein Gesicht nicht sah, murmelte Ahmet: »Der
Tee!« und flüchtete sich in die Küche. Er hantierte verwirrt herum und dachte:
»Jetzt geht die auch weg! Was soll ich nur machen?« Er riss sich zusammen.
»Dann werde ich eben noch mehr malen. Und mit Hasan und seinen Leuten
zusammenarbeiten. Ich kann ja nicht immer hier her umhocken, nur weil ich
angeblich Maler bin!« Er sah sich im Geiste schon mit Hasan und seinen Freunden
zusammensitzen. »Da lässt sich einiges machen!« dachte er aufgeregt. »Einiges!«
Doch als der Tee dann gezogen hatte und er drüben wieder İlknur sah, sank
ihm erneut der Mut.
    »Und was ist mit der Doktorarbeit,
die du hier angefangen hast?«
    »Die? Na, die fandst du doch nicht
gerade toll!« Das Thema war: »Das Streben nach Ganzheit in der osmanischen
Architektur«.
    Ahmet erinnerte sich schmerzlich
daran, wie er İlknur damit aufgezogen hatte. »So ein Streben gibt es doch
gar nicht!« hatte er immer wieder gesagt. »Das war doch nur ein Witz!«
verteidigte er sich nun.
    »Schon gut. Es ist ja noch nicht
ganz sicher, ob ich gehe.«
    »Aber doch ziemlich!«
    Mit ihren Blicken bedeutete ihm
İlknur, er solle das Thema doch bitte fallenlassen.
    »Was hast du noch gemacht?« fragte
Ahmet also.
    »Nichts, das war’s schon!«
    »Wie kommt es dann, dass ich, der
ich mich kaum aus meinem Kämmerchen wegrühre, immer mehr zu erzählen habe als
du?« Stolz sprach er weiter: »Dass ich hier so einsam herumsitze,

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