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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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wiederholte sie zögernd ihre Frage:
»Mal im Ernst, warum sitzen wir nicht viel öfter so zusammen?«
    »Wann ist denn der nächste Bayram?«
fragte Lâle.
    »Mensch, der letzte war doch erst
vor zwei Wochen!« versetzte Necdet.
    »Ich meine ja gerade, wir sollten
nicht immer nur auf Festtage warten, sondern auch so zusammenkommen!« forderte
Mine. »Und auch deine Schwester einladen«, sagte sie zu Ahmet.
    »An Silvester sind wir nicht hier«,
sagte Necdet.
    »Ach so!« sagte Mine seufzend. Sie
sah zu Cemil.
    Lâle sagte: »Wir kommen überhaupt
nicht mehr mit Melek zusammen! Und mit Ferruh auch nicht! Der wollte uns doch
mal nach Cennethisar einladen!«
    »Wir haben ja auch ihn nicht nach
Heybeliada eingeladen!«
    Cemil fragte: »Wie heizt ihr dort eigentlich? Also bei
Ferruh –«
    »Der macht immer Feuer im Kamin.
Einen Gasofen hat er auch. Und ruhig ist es dort! Hat mir sehr gut gefallen bei
denen.« Er wandte sich zu seiner Frau: »Was meinst du? Ideal für einen
Wochenendausflug! Ich lasse ihm jetzt in der Fabrik einen ganz besonderen
Elektroofen bauen.«
    »Wie geht es denn Ferruhs Frau?«
fragte Mine. »Hatte es die nicht an der Brust?«
    »Ja, ein kleiner Tumor war das.
Wurde aber Gott sei Dank rechtzeitig erkannt. Die Frau ist eben vernünftig und lässt
jedes Jahr einen Check-up machen!«
    »Das sollte jeder tun!« sagte Mine.
Zu ihrem Mann meinte sie: »Du passt ja gar nicht auf dich auf!«
    »Ja wie soll ich denn das, bei der vielen
Arbeit! Wenn alles so wie am Schnürchen laufen würde wie in Europa, dann könnte
man sich schon daran gewöhnen, regelmäßig zum Arzt zu gehen, aber hier bei uns

    »Hast völlig recht, Junge! Bei uns
geht alles den Bach runter. Wo man hinschaut!« sagte Necdet.
    Ahmet hatte seinen Spinat
fertiggegessen und stand diskret auf. Er flüsterte Mine zu: »Ich muss jetzt
weg, ich habe jemandem versprochen, dass ich –«
    »Du gehst schon? Hast dich wieder
gelangweilt, was? Dabei habe ich extra den Orangenkadayıf machen lassen, den du so gerne magst. Den
musst du wenigstens noch probieren!« Sie rief nach dem Dienstmädchen.
    Ahmet entschuldigte sich noch einmal
und ging dann in die Küche. Er schnitt sich von dem Kadayıf ein Stück ab und stopfte es sich in den
Mund. Dann ging er durch die hintere Küchentür ins Treppenhaus. Mit vollem Mund
hastete er die Stufen hinab und kam sich dabei vor wie zu Grundschulzeiten.
Schon war er draußen auf der Straße.
    Es war Samstag abend gegen neun Uhr,
und die Straßen waren voller Menschen. Die meisten Geschäfte waren schon
geschlossen, doch in Konditoreien, Imbissstuben und Blumenläden herrschte noch
Betrieb. Der Inhaber eines Kaffeegeschäfts hatte die Ladentür offenstehen und
röstete drinnen Kichererbsen. Der Losverkäufer stand noch immer an der gleichen
Ecke. Der Verkehr wälzte sich zäh dahin. Der Zeitungsjunge hatte vor der Bank
Posten bezogen. Aus einem Friseurladen floss schmutziges Putzwasser auf den
Gehsteig. An der Bushaltestelle warteten viele Leute. Vor den Schulen standen
Autos. An der Ecke der Polizeiwache staute sich wieder der Verkehr. An einem
Polizeijeep rotierte das Blaulicht. Nachdem Ahmet eine Weile gegangen war und
die frische Luft eingesogen hatte, fühlte er sich innerlich gereinigt. »Warum
gehe ich aus dem Haus? Um das Leben zu sehen! Um Menschen zu sehen, um zu
leben! Obwohl: Nehme ich denn wirklich teil an ihrem Leben? Dass ich das nicht
kann, bedrückt mich manchmal. Wahrscheinlich wirke ich dann eingebildet. Im
Grunde beneide ich sie, weil ich ihre Wonnen nicht mitgenießen kann.« Er kam an
der Moschee vorbei. »Nun ja, so arg ist es auch wieder nicht! Sie haben darauf
bestanden, dass ich komme, also bin ich hin. Und das Filet war gut!« Er bog
links nach Teşvikiye ab. »İlknur!« Bald würde er alles mit ihr besprechen
können! Um zwei Minuten vor neun bezog er unweit ihres Hauses Posten.

7
  ZUSAMMEN
    Bald darauf ging im Treppenhaus das
Licht an, und İlknur erschien. Ahmet überquerte die Straße.
    »Hallo, wartest du schon lange?«
    »Nein, bin gerade gekommen«, sagte
Ahmet. »Sag mal, du und deine Umhängetasche! Ohne deinen Parka und deine
Umhänge–«
    »Ich sollte doch dein Heft
mitbringen, oder?« entgegnete sie scharf.
    »Ach so, ja, entschuldige!« murmelte
Ahmet kleinlaut.
    Sie gingen los. »Warum ist sie so
wütend?« fragte sich Ahmet. Sie schwiegen. »Dabei wollte ich ihr doch alles
erzählen!« Geknickt dachte er: »Ich habe doch nichts als meine Arbeit, meine
Bilder!

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