Cevdet und seine Soehne
Paşa. Beim Anblick von Cevdets Miene war es
mit seiner Stimmung aber dahin. Er stand auf. »Komm bald wieder; vor der
Hochzeit möchte ich dich noch mal sehen.«
Cevdet dachte: »Nigân!« Er
schüttelte Seyfı Paşa flüchtig die Hand und ging hinaus. Eigentlich
wollte er Şükrü Paşa, der ihn hinausbegleitete, zum Abschied die Hand
küssen. Er hörte wieder das Ticken der Uhr. Taumelte leicht. Und küsste die
Hand dann nicht. Er lächelte nur. Dann ging er die Treppe hinunter. Der
Küchengehilfe öffnete ihm die Tür. Als Cevdet draußen den weiten, klaren Himmel
und die strahlende Sonne sah, wurde ihm wieder leichter ums Herz. Es wehte ein
frischer, kühlender Wind.
9
EIN STEINHAUS IN NIŞANTAŞI
Die Sonne war schon weit
herabgesunken und brannte nicht mehr so. Cevdet sah auf die Uhr: Es war zwei.
»Den ganzen Tag vertrödelt!« Dennoch fühlte er eine innere Ruhe einkehren, wie
er sie lange nicht verspürt hatte. Es war da eine neue, frische Kraft in ihm,
die er bisher nicht recht wahrgenommen, aber wohl schon jahrelang in sich
angesammelt hatte. Woher sie stammte und wie sie nun plötzlich zutage getreten
war, darüber wollte er nicht weiter nachdenken. Er genoss sie einfach, genoss
auch das zarte Sonnenlicht und – nach stundenlanger Abstinenz – den Rauch der
ersten Zigarette, der in jede Faser seines Körpers drang. So ging er über das
Pflaster, das soeben noch Nigân betreten hatte. »Sie ist
die Richtige für mich. Ich habe sie verdient!« Er stieg in die Kutsche und gab
als Fahrziel Nişantaşı an.
Er ahnte, dass er Nigân lieben
würde. Er wollte sie ja lieben, hatte sich das schon oft vorgestellt. Dass
Nigân ihrerseits ihn jetzt noch nicht liebte, war ihm klar, doch wusste er,
dass das lebhafte Ding, das er vorhin gesehen hatte, von seiner Familie – und
mochte diese ihm noch so seltsam, altmodisch und fern erscheinen – dazu erzogen
worden war, den Ehemann zu lieben. Wie recht er doch hatte, sie zu heiraten!
Dieser Gedanke überwältigte ihn so sehr, dass er beinahe feuchte Augen bekam.
»Ich lebe!«
Die Kutsche fuhr an der
Teşvikiyemoschee vorbei, in deren Hof sich mächtige Platanen erhoben. Ein alter
Mann trat vorsichtigen Schrittes aus dem Hof auf die Straße, die zu beiden
Seiten mit Linden und Kastanien bestanden war. Im Garten eines Konaks war
Wäsche aufgehängt. In einem anderen Garten plapperten zwei Kinder; ihre
Schaukel an einer Linde bewegte sich leicht.
Vor dem Haus in Nişantaşı stieg Cevdet aus der Kutsche. Die kühle
Brise blähte seine Rockschöße. Vor und hinter dem steinernen Haus standen
ebenfalls Linden und Kastanien, noch junge Exemplare, vom Haus beschattet; sie
raschelten im Wind. Als Cevdet durch das Gartentor trat, fühlte er sich erneut
darin bestätigt, dass das Haus von allen, die er besichtigt hatte, am ehesten
für ihn geeignet war. Auf einem von gepflegten Rosen gesäumten Kiesweg ging er
auf das Haus zu. Er klingelte, wartete eine Weile, doch niemand öffnete ihm. Er
ging um das Haus herum, und im Garten traf er einen kleinen Jungen an. Der
erbot sich, jemanden zu holen, und kam schon bald mit einem älteren kleinen
Mann mit riesigen Händen zurück. Cevdet kannte den Mann von einem seiner
früheren Besuche, es war der Gärtner.
»Möchten Sie es noch mal
besichtigen?«
»Hat niemand Bescheid gesagt?«
»Doch, doch. Die gnädige Frau ist
auf den Prinzeninseln.«
»Ich weiß. Ich bin doch nicht zu
spät dran?«
»Heute morgen war sie noch da.« Der
Gärtner holte einen Schlüssel heraus und sperrte auf. Cevdet trat ein, gefolgt
von dem Jungen.
Der Gärtner sagte zu dem Jungen:
»Warte du draußen auf uns!« Dann schloss er die Tür.
Da die Läden geschlossen waren,
herrschte Halbdunkel im Haus. Dennoch erkannte sich Cevdet in dem Spiegel
gegenüber der Tür. Er fand seinen hochgewachsenen schlanken Körper ziemlich
straff und sein rundliches Gesicht fröhlich. Er ging auf die Stufen zu, die zu
einer weiten Diele hinaufführten. Sie betraten den Salon, und obwohl Cevdet
bereits mehrfach dagewesen war, bestaunte er wieder das Mobiliar. Da standen
mit Goldbrokat bespannte Stühle, ausladende Sessel mit Einlegearbeiten und
wackelige Tischchen. In einem Nebenzimmer befand sich nichts anderes als ein
Klavier mit einem Hocker davor und ein alter Stuhl. Der Parkettboden war
ungepflegt. An den Wänden hingen Fotos von hässlichen alten Männern mit Bart.
Die nicht besonders hohen Zimmerdecken waren mit Stuck verziert:
Lorbeerblätter, Rosenblüten
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