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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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er, dass es sich dabei um Nigâns Mutter handeln musste.
Danach kamen, plaudernd und umherblickend, nacheinander die drei Mädchen
heraus. »Sie wissen gar nicht, dass ich im Hause bin!« dachte Cevdet fast
schuldbewusst. Die Mädchen wirkten lebhaft und fröhlich. Cevdet bekam nicht
heraus, welche davon Nigân war. »Eine Familie!« murmelte er. Ihm war, als hörte
er das Ticken der Uhr. Er verstrickte sich immer mehr in seinen Schuldgefühlen.
»Eine von denen da!« dachte er angstvoll. »Eine Familie.« Er versuchte, eines
der schattenhaft leichten Mädchen in seiner Vorstellung von einem Familienleben
unterzubringen. Er merkte, wie heftig ihm das Herz schlug, und schämte sich
dafür. »Was bin ich für ein Mensch?« Der Paşa schwätzte weiter vor sich
hin, doch Cevdet bekam es kaum mehr mit. Er sah nur hinaus und schwitzte und
ekelte sich vor seiner feuchten Hand und vor sich selbst. Da draußen im kühlen
Schatten des Baumes stand das seit Jahren erwartete und erträumte Etwas und
bewegte sich und lachte. So weit entfernt, so vage! Mit seinem Verstand
vermochte er sie einzuordnen, wo sie hingehörte, aber eben nur mit dem
Verstand, nicht mit dem Gefühl. Das Gefühl war etwas so schwer zu
Manövrierendes wie das Gewissen. Je mehr er schwitzte, um so mehr Schmutz und
Schuld pumpte es ihm ins Blut. Er wollte nicht mehr hinaussehen. Die röchelnde
Stimme des Paşas sollte endlich verstummen und all die Bewegung aufhören.
»Mein Bruder liegt im Sterben!« Er dachte an den Laden und an Eskinazi. Voller
Furcht. Der Kutscher öffnete den Schlag.
    Da regte sich etwas im Garten
draußen. Cevdet hörte Räder quietschen. Ein Pferd schnaubte.
    »Ah, das ist Seyfı Paşa!«
rief der Paşa aus. »Gott möge es dir lohnen, Seyfı, dass du kommst!«
    Der eingetroffenen Kutsche entstieg
raschen Schrittes ein großer, aber leicht buckliger Mann mit schwarzem Bart.
Als er die in die andere Kutsche einsteigenden Frauen sah, warf er stolz den
Kopf zurück. Da geschah etwas Unterwartetes. Die Mädchen gingen nacheinander
auf den Paşa zu, knicksten und küssten ihm die Hand.
    »Bravo!« rief Şükrü Paşa
aus. »Sind es nicht brave Mädchen? Das da ist die deine!«
    Cevdet kam noch mehr ins Schwitzen.
Das Etwas, das gerade an Konturen gewonnen hatte, wurde nun wieder ferner und
undeutlicher. Nigân küsste dem Paşa die Hand. Cevdet würde seinen Verstand
erheblich bemühen müssen, um sie richtig zu begreifen; das wurde ihm nun klar.
»Was ist das für ein Wesen? Was will sie? Und wie?« Mit dem Ding da vorn, das
gerade dem Paşa die Hand küsste, würde er sein ganzes Leben verbringen.
»Vielleicht … Vielleicht …« murmelte er sorgenvoll. Dann verwandte er
wieder seine ganze Kraft darauf, jenem Ding in seinen Vorstellungen einen Platz
zuzuweisen.
    »Siehst du, dieser Seyfı, das
ist ein treuer Freund!« sagte Şükrü Paşa.
    Dann stiegen die Mädchen in ihre
Kutsche ein, der Cevdet noch hinterhersah.
    Der Diener meldete: »Seyfı
Paşa ist eingetroffen!«
    »Ich weiß schon, soll hereinkommen!«
rief Şükrü Paşa. »Seyfı
ist so jemand, den ich unter meine Fittiche genommen habe«, erklärte er Cevdet.
»Er hat es vernünftiger angefangen als ich, denn er hat es verstanden, sich
beim Sultan beliebt zu machen. Ansonsten ist er vom gleichen Schlag wie ich. Er
war Gesandter in London. Aber du hörst mir ja gar nicht zu! Ha, jetzt hast du
sie also gesehen! Na? Ein Hoch auf Seyfı! Wie hat er nur geahnt, dass ich
heute schwermütig bin und Unterhaltung brauche?«
    Die beiden Paps umarmten sich vor
der Tür. Seyfı Paşa hatte etwas Hochnäsiges an sich. »Ich bin
Kaufmann!« dachte Cevdet.
    »Hast du meinen zukünftigen
Schwiegersohn schon kennengelernt?« sagte Şükrü Paşa zur Vorstellung.
    Sie setzten sich, und der Diener
brachte Kaffee. Seyfı Paşa musterte Cevdet verstohlen, Cevdet
rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her, und Şükrü Paşa
erzählte etwas.
    Unvermittelt fragte Seyfı
Paşa: »Was machen Sie denn beruflich, mein Sohn?«
    »Ich bin Kaufmann, Paşa!«
    »Soso, Kaufmann also …« murmelte
Seyfı Paşa, wandte sich wieder dem Gastgeber zu und setzte eine
interessierte Miene auf.
    Şükrü Paşa erging sich
nun in Lobeshymnen auf seinen neuen Gast. Wahre Freunde seien etwas immer
Selteneres, und kaum noch finde er jemanden, mit dem er sich wirklich unterhalten
könne. Er schloss mit der Bemerkung, dass er nun auch seinen Schwiegersohn als
einen Freund ansehe, doch hörte sich das eher

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