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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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verabschiedet sich
und ein kleiner Wonneproppen mit einer ›1971‹-Schärpe wird begeistert
empfangen. Die Karikatur in der Sonntagsbeilage: Hoffentlich sehnen wir uns
dann nicht nach dem alten Jahr! Die Kleinbürger fürchten sich vor der Zukunft!
Soll die Zeit doch dahinfließen! 1970! Die Arbeiterdemonstrationen im Juni! Die
Geldabwertung! Meine Bilder! Und ein Putsch. Siebzig minus vierzig: dreißig Jahre
bin ich alt. Bin immer noch im Zentrum von allem und habe doch immer noch keine
Wurzeln geschlagen.« Er dachte an den alten Oberst zurück, der ihm beim Militär
mal einen Rat gegeben hatte. Der Mann hatte ihn gefragt, was er denn im
Zivilleben so mache, und ihm daraufhin empfohlen, doch zu heiraten, sich
niederzulassen, Wurzeln zu schlagen. »Und jetzt machen die Soldaten … Mein
Schwager …« Am Nişantaşıplatz blieb er stehen. Er ging nicht
gleich zum Haus hinüber, sondern erst zum Zeitungskiosk, wo auf einem Tisch und
am Boden in bunter Folge Sex-, Kinder-, Film und Familienzeitschriften und die Zeitungen
vom folgenden Tag aufgereiht waren. »Treffen der Befehlshaber … Memorandum
schlägt konstituierende Versammlung im Sinne Atatürks vor …« Ahmet dachte:
»Dann ist es wohl soweit!« »… sind aus der Gerechtigkeitspartei ausgetreten
… Ausgabe von Anleihen zum Bau der Bosporusbrücke angeregt … Ärzte kündigen
Streik an …« Schließlich kaufte er doch keine Zeitung, sondern ging zum Haus.
»Jetzt haben wir den Salat. Er kommt also, der Putsch! Torres! Aber was es wohl
für einer wird? Die sollen wenigstens schnell machen und uns nicht lange
zappeln lassen! Sofort her mit dem Putsch, damit die Warterei ein Ende hat!«
Es musste lachen, und gähnend sperrte er dann die Haustür auf. »Zeit, fließ
dahin!« Ihm sausten auf einmal Begriffe und Theorien im Kopf herum; um Kritik
an Populismus und an Militärputschen ging es dabei. Auf Cemils Etage war es
noch laut, bei Osman völlig still. Bei seiner Großmutter brannte Licht, und ihm
war, als hörte er die Krankenschwester etwas rufen. Er sperrte seine
Wohnungstür auf. »So, jetzt wird gearbeitet!« Der vertraute Bildergeruch in
seiner Wohnung tat ihm gut. Er hatte Lust, jahrelang nur noch zu arbeiten.
Voller Eifer sah er auf das Bild, an dem er am Nachmittag gearbeitet hatte. Er
wollte sofort den ersten Pinselstrich tun, aber um nicht übereilt vorzugehen,
brachte er zuerst den überquellenden Aschenbecher und die Teetassen in die
Küche. Als er die Bücher und Hefte seines Vaters wegräumen wollte, beschloss
er, sie gleich nach unten zu bringen, um sie nicht mehr vor Augen zu haben. Auf
der Treppe dachte er, dass die Tagebücher ihm nichts gebracht hatten.
    Er sperrte bei seiner Großmutter
auf, und um sich kurz blicken zu lassen, ging er ins Wohnzimmer. Er merkte
sogleich, dass etwas los war. Emine saß am Bett der Kranken und sah sie entsetzt
an.
    Die Krankenschwester wandte sich um,
als sie Ahmet hereinkommen hörte. »Ich spüre ihren Puls nicht mehr!« sagte sie.
Sie schwitzte.
    »Ist er so schwach?« fragte Ahmet.
    Die Krankenschwester schien in Panik
zu geraten. Sie nahm wieder Nigâns Hand und legte den Finger auf den Puls.
Ahmet sah ihr ins Gesicht, aus dem aber nichts abzulesen war. Die Großmutter
lag da, als würde sie schlafen. Er sah wieder die Krankenschwester an, deren
Gesicht aber völlig unverändert blieb. »Nun muss sie doch endlich was spüren!«
dachte Ahmet. Die Krankenschwester versuchte es nun an anderen Stellen.
    »Spüren Sie denn gar nichts?« fragte
Ahmet.
    Die Krankenschwester sah Nigân ins
Gesicht und griff zur anderen Hand. »Ich weiß nicht, ob er noch schlägt!« sagte
sie.
    »Wie bitte?«
    Sie gab keine Antwort. Während sie
weiter nach dem Puls tastete, beugte sie ihr Gesicht über das von Nigân.
    »Der Doktor! Ich rufe den Doktor
an!« sagte Ahmet.
    »Der kommt zu spät!« Die
Krankenschwester griff auf einmal rüde zu Nigâns Brust und massierte sie. Nach
einer Weile wandte sie sich zu Ahmet um, und ihr war anzusehen, dass sie selbst
nicht an ihre Maßnahme glaubte. Dann nahm sie wieder ein Handgelenk, tastete
lange, aber offensichtlich ohne jegliche Überzeugung. Seufzend untersuchte sie
Nigâns Pupillen und warf dann Ahmet einen hoffnungslosen Blick zu. Sie seufzte
wieder. »Er schlägt einfach nicht mehr!« sagte sie. So wie man eine kaputte Uhr
auf einen Tisch legt, ließ sie Nigâns Hand auf den Bettrand herabsinken. Die
von den vielen Infusionen ganz zerstochene Hand regte sich nicht.
    »Sie

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