Cevdet und seine Soehne
werde essen, rauchen, lachen,
und das alles noch sehr oft. Und dann werde ich das Zeitliche segnen. Und einen
der Tage bis dahin habe ich heute hinter mich gebracht. Und geträumt habe ich
etwas! Und mich heute morgen unter diesen christlichen und jüdischen Kaufleuten
wieder elend einsam gefühlt. Aber daran will ich jetzt nicht denken … Was ich
jetzt will? Schlafen! Zeliha hat mir das Bett bereitet. Ach, diese Frau!« Es
bellten Hunde. »Als Kind habe ich mich vor Hunden gefürchtet. Mein Bruder und
ich haben immer draußen gespielt. Beim Frühlingsfest … Jetzt denke ich schon
wieder an dieses Frühlingsfest.« Aus einem Fenster drang schwaches Licht. »Die
Lampe stammt vielleicht von mir. Da sitzen vielleicht Leute unter einer bei mir
gekauften Lampe zusammen. Und was tun sie? Sich unterhalten. Einer sagt, es
kommt ein Lodos auf, darauf der andere, dann hol lieber die Blumentöpfe rein,
sonst werden sie weggeweht, dann trinken sie Lindenblütentee und Fruchtsaft, und
sie gähnen.« Er gähnte selbst und streckte sich dabei. »Mein Bruder verachtet
das alles. Und warum? Weil er meint, er hätte so hehre Gedanken. Vielleicht hat
er ja auch recht, und seine Ansichten stimmen. Aber weil er sich für so
unfehlbar hält und Dinge fühlt und denkt wie niemand sonst, sieht er auf alle
nur herab. Ist es das wert? Ach …« Wieder gähnte er herzhaft. Das Coupé bog
in das Viertel ab. »Zwei Leben bräuchte der Mensch. Zwei Seelen. Eine fürs
Geschäftsleben und eine zum Amüsieren. Und die zwei sollten sich nicht ins
Gehege kommen, sondern einander eine Hilfe sein. Genau, das ist es. Mein ganzes
Leben soll von nun an so sein! Ja, leben werde ich!« Wieder streckte er die
Glieder, und als er schließlich aus dem Coupé stieg, konnte er sich nur wundern,
wie frisch er sich plötzlich fühlte.
»Heute habe ich Sie ganz schön
beansprucht!« sagte er zum Kutscher. Der lächelte, als ob er den ganzen Tag nur
auf diesen Satz gewartet hätte.
»Kommen Sie morgen früh um die
gleiche Zeit wieder, ja?«
»Geht in Ordnung!«
Die Kutsche fuhr los, und Cevdet sah
ihr hinterher, bis der zittrige Schein ihrer Lampen hinter der Straßenecke
verschwand. Er ging ins Haus. Im Erdgeschoss war noch ein
Lichtschimmer zu sehen. »Sie schläft noch nicht!«
»Wer ist da? Bist du das, Cevdet?«
»Ja, ich bin’s!« Er ging auf die
Treppe zu.
»Warte mal! Hast du Hunger? Hast du
zu Abend gegessen?«
»Nein!« rief Cevdet und bereute es sogleich.
»Dann komm rein, ich habe dir
Fleisch mit Auberginenpüree gekocht! Ich habe auf dich gewartet, und dabei muss
ich eingenickt sein.« Mit einer Petroleumlampe in der Hand kam Zeliha, leicht
taumelnd, aus der Küche heraus.
»Wärst du doch ins Bett gegangen!
Wozu hast du denn auf mich gewartet?«
»Einfach so«, erwiderte sie lächelnd.
»Der Tisch ist schon gedeckt, Na komm schon!«
Cevdet ging in die Küche und
überlegte, wie das Auberginenpüree schmecken und wie schwierig es sein würde,
die Frau einmal loszuwerden. »Jetzt vermischt sich schon wieder alles! Wie soll
man die zwei Leben auseinanderhalten?«
»Setz dich doch!« sagte Zeliha,
froh darüber, sich nützlich machen zu können. »Wie geht es dir? Wer weiß, was
du alles gemacht hast! Lass dir mal erzählen, was heute hier im Viertel
passiert ist. Du kennst doch Mustafa, der da vorne am Brunnen wohnt, also der
kommt gerade von der Moschee nach Hause, und da trifft er an der Ecke den Dings
… Willst du eine farcierte Pfefferschote? Nicht wenigstens eine? Also da
trifft er Salih und schaut so, was der in der Hand hat … Es wird regnen, was?
Also, da hat der einen riesengroßen Schlüssel in der Hand … Und da sagt er,
hör mal, Salih, was willst du denn mit …«
Zweiter Teil
ZWEITER TEIL
1
EIN JUNGER EROBERER IN ISTANBUL
»Europa wird von nun an für uns noch eins sein: ein
… ein Ziel! Oder besser gesagt ein Vorbild!« Sait redete ziemlich hastig in
dem durchgerüttelten Speisewagen. »Unseren Stolz müssen wir jetzt einmal
beiseite lassen. Ich sage immer: Das Klirren unserer Schwerter wird nun schon
so lange von Gewehr- und Maschinenlärm übertönt … Unser Staat ist nicht mehr
der alte Staat, wie ja auch die Welt nicht mehr die alte Welt ist! Wir haben
bald die Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinter uns. Februar
neunzehnhundertsechsunddreißig … Wie weit ist es da noch bis
neunzehnhundertfünfzig … Trinken wir also, vergessen wir unseren Stolz und
finden wir uns mit der Republik und mit Europa ganz
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