Cevdet und seine Soehne
war silbern
umrandet, und hinten war ein Reh abgebildet. Als er ihn umdrehte, sah er sich
selbst. »Wie hässlich ich doch bin! Aber das ist gut so! Sonst würde ich mich
auch mit so wenig begnügen. Und hätte nicht Dichter werden können!«
»Woran denkst du so?« fragte
Refık.
»Bitte?«
»Du schaust so versonnen drein.
Woran denkst du?«
»Ach, an mich!«
Refık nickte lächelnd. Seine
Blicke besagten: »Jaja, du bist eben Dichter! Du denkst irgend etwas
Tiefgründiges und bist nicht so wie wir!«
»Schaut euch mal den Hut an!« rief
Perihan.
Alle drei wandten sich nach der
gleichen Seite, doch da Muhittin nichts Interessantes entdecken konnte, drehte
er sich wieder zurück und sah von der Seite Perihans Gesicht. »Eine schöne
Frau!« Sekundenlang starrte er auf die kleine Nase, die glatte Haut. »Ja, sie
ist schön!« Er erschrak bei diesem Gedanken. »Was mache ich bloß? Gerate da in
Verzückung! Ich möchte nicht von außen sehen, wie ich sie anstarre! Eine schöne
Frau bringt einen um!« Das war ihm ein tröstlicher Gedanke. Gerade eben hatte
er sich ja schon über seine Hässlichkeit gefreut. »Wenn ich gut aussehen würde
oder eine schöne Frau hätte, könnte ich keine Gedichte schreiben. Dann würde
ich so wie Refık Sonntagsspaziergänge machen und Bingo spielen!« Er sah
wieder die glückliche Szenerie im Hause Işikçi vor sich, das fröhliche Lärmen um den Esstisch herum.
»Mit dieser schimmernden Atmosphäre, diesen leidenschaftslosen Seelen, diesen
ruhigen, ausgeglichenen Menschen kann ich nun mal nichts anfangen! Und
Refık gehört eben auch zu denen. Dabei war er früher mal –«
»Sollen wir Knabberzeug kaufen?«
Sie winkten einem Straßenverkäufer.
Der bucklige, alte Mann kam mit seiner Umhängetasche heran, reichte ihnen eine
Portion und sah die jungen Leute dabei fröhlich an.
»War Refık früher denn auch schon
so? Wahrscheinlich. Oder hat er sich doch verändert? Und kann mir das etwa auch
passieren?« Er versuchte sich zurückzuerinnern, wie Refık fünf, sechs
Jahre zuvor gewesen war. »An der Uni hat er immer gelacht und war zu jedem Spaß
bereit. Bis in den Morgen hinein spielten wir Poker, allerdings schämte er sich
danach auch manchmal. Und erst recht, als er mal ins Puff mitgegangen ist, danach hatte
er regelrechte Reueanfälle. Überhaupt benimmt er sich eher wie ein Christ. Aber
doch ein guter Kerl … Wie lange sind wir jetzt schon befreundet …«
»Was schaust du mich denn so an?«
»Wie schaue ich dich an?«
»Na so!« Refık kniff die Augen
zu und schob den Kopf nach vorne.
Diese Parodie entlockte Perihan ein lautes
Lachen. Muhittin reagierte nicht beleidigt, sondern lachte sogar mit.
Wenigstens bekam er so mit, wie er von anderen gesehen wurde.
»Wird es mit deinen Augen eigentlich
schlimmer?«
»Nein!«
»Weißt du«, erläuterte Refık
Perihan, »während des Studiums behauptete Muhittin immer, in spätestens fünf
Jahren sei er blind. Damit verschaffte er sich immer kleine Vorteile, zum
Beispiel sagte er: Kannst du mir diese Zeichnung da fertigmachen, damit ich
inzwischen noch was von der Welt sehe?«
»Ich wurde damals rapide
kurzsichtig«, rechtfertigte sich Muhittin, verwundert darüber, wie locker seine
Clownereien von damals nun genommen wurden. Er ärgerte sich über sich selbst.
Als er Perihan auf seine dicken Brillengläser blicken sah, versicherte er
rasch: »Aber jetzt ist alles in Ordnung mit meinen Augen!« und suchte es
sogleich zu beweisen.
Der glatzköpfige Mann las noch immer
in seiner Zeitung, deren Schlagzeilen Muhittin nun von seinem Platz aus
vorzulesen begann. »Die Provinz Hatay darf auf keinen Fall unter syrischem Joch
bleiben … Staatspräsident Atatürk erklärte gestern im Hotel Pera Palas …
Der Dichter Nazım Hikmet
und seine beiden Freunde … Eineinhalb Meter Schnee in Artvin … Fenerbahçe-Güneş: 5:2.«
»Mensch, das kann ja nicht einmal
ich lesen!« staunte Refık.
Der Glatzkopf merkte schließlich,
dass in seiner Zeitung mitgelesen wurde, aber er lächelte nur höflich und
wandte sich wieder seiner Lektüre zu.
Refık fragte gähnend: »Wie wohl
das Spiel heute ausgeht?«
Da ließ der Glatzkopf seine Zeitung
sinken und gab zurück: »Na wie schon? Fenerbahçe
gewinnt!«
Alle lachten, sonntäglich entspannt.
Muhittin ließ sich von Refık Sonnenblumenkerne reichen und häufte sie auf
den Tisch.
»Sie sind alle so fröhlich und
zufrieden, weil sie nicht wissen, dass sie einmal sterben müssen!« dachte
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