Cevdet und seine Soehne
frech, so gar nicht wie ein Neffe, der von seinem Onkel
Hilfe erbittet. »Und wenn nicht Zucker, dann eben Stoff oder Autos … In der
Türkei fehlt es doch immer an irgend etwas. Mach dir da keine Sorgen!«
»Es ist aber mein gutes Recht, mir
Sorgen zu machen!«
»Ach ja, das hätte ich ja fast
vergessen!« sagte Ziya lachend.
»Wie kannst du das nur? Wo dein Vater
dich mir anvertraut hat!« Da merkte Cevdet erst, dass sein Neffe nur gespottet
hatte. »Das darf doch nicht wahr sein!« dachte er. »Da muss ich dem Kerl gut
zureden und dabei noch seine Frechheiten und Beschuldigungen über mich ergehen
lassen!« Er lauschte auf das Pochen seines Herzens. »Was soll ich bloß tun?«
»Ja, mein Vater hat mich in deine
Obhut gegeben. Ich weiß den Tag noch gut, an dem du mich mit deiner Kutsche von
Zeyneps Haus in jene Pension gebracht hast. Sowieso bin ich nur hier, weil ich
auf das Testament meines Vaters und auf deinen guten Willen baue!«
»Siehst du? Außer mir hattest du
doch keine Stütze im Leben!« In Cevdets Wut mischte sich etwas Rührung.
»Ich hatte niemanden auf der Welt!«
»Dann solltest du schätzen, was ich
für dich getan habe! Schau nur, in welchem Zustand ich bin.« Er presste die
Hand aufs Herz. »Wenn du wüsstest, was ich hier für Schmerzen habe! Zu deinem
Onkel so frech zu sein, wird dir nichts bringen!«
»Tja, daran hatte ich wohl nicht
gedacht! Jedenfalls bin ich ganz deiner Meinung, dass du meine einzige Stütze
bist, und genau deshalb bin ich hier. Ich möchte Geld von dir, aber nur
geliehen. Sobald ich genug verdient habe, zahle ich es zurück!«
Da kam Cevdet eine Idee: »Warum
wartest du nicht deine Pensionierung ab?«
»Weil ich diese Uniform satt habe!«
»Was redest du da! Sogar ein Orden
ist darauf! Du hast jahrelang gekämpft, um dir diese Uniform zu verdienen! Bist
sogar verwundet worden, wo war das noch mal, in Sakarya, nicht wahr? Du bist also
ein Kriegsheld! Darf ein Kriegsheld so daherreden? Warte doch, bis du
pensioniert wirst!«
Resigniert wehrte Ziya ab. »So lange
kann ich nicht warten! Ich brauche Geld!«
»Wie leicht dir das von den Lippen
geht! Denkst du etwa, es ist so leicht, Geld zu verdienen?«
Da stand Ziya auf. »Ich weiß nicht,
wie man Geld verdient, woher soll ich es auch wissen, ich war ja immer nur
Soldat!« rief er. »Aber ich will zu meinem Recht kommen! Und dieses Recht werde
ich mir auch holen!«
»Was für ein Recht? Was meinst du
damit?«
»Ich weiß nicht, welches Recht es
ist. Doch, ich weiß es: Der Tod meines Vaters hat dir doch einiges eingebracht
…«
»Wenn dein Vater selig diese
Frechheiten mit anhören würde, wäre er furchtbar traurig. Dass sein Sohn sich
so entwickeln würde! Dein Vater war ein Idealist! An Geld dachte er überhaupt
nicht! Schade, schade … Im Grab würde er sich umdrehen!«
»Ich will mir einfach das holen, was
eigentlich ihm zustand!«
»Was soll das alles? Und warum kommst du ausgerechnet
jetzt?«
»Jetzt komme ich deshalb, weil ich viel nachgedacht habe. Ich bin jetzt zweiundvierzig. Bis zu
meiner Pensionierung sind es noch zwölf Jahre. Soll ich dann mit
meiner Pension in einer kleinen Mietwohnung hocken und die Balkonblumen
gießen? Ich habe gemerkt, dass ich noch leben will. Und habe beschlossen, nach
Istanbul zu ziehen.«
»Aber du wohnst doch mit … äh, mit
deiner Frau in Ankara zusammen!« Cevdet ärgerte sich, weil ihm keine Namen mehr
einfielen.
»Von der werde ich mich trennen«,
sagte Ziya und setzte sich wieder.
»Was? Warum das denn? Ist sie nicht
sogar krank?«
»Doch.«
»Du verlässt also deine kranke
Frau?« Wieder hatte Cevdet das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben. Er konnte
sich nicht mehr so auf seinen Verstand verlassen wie früher.
»Ich glaube nicht, dass du dich für
meine Familie und meine Frau wirklich interessierst«, sagte Ziya. »Sonst
hättest du ihr nämlich geholfen, während ich an der Front war!«
»Was? Ja habe ich das vielleicht
nicht?!«
»Nein, hast du nicht! Abgesehen von
den paar Kröten, die du ihr gegeben hast, um sie dir vom Hals zu halten!«
Cevdet wollte schnell die »paar
Kröten« zusammenrechnen, um sie Ziya vorzuhalten, aber dann schämte er sich,
und er konnte auch gar nicht mehr. »Das ist doch ungeheuerlich«, murmelte er.
Es packte ihn ein Husten. »Was redet er von seinem Recht daher?« dachte er.
»Wie kommt er nur darauf? Ich habe mich um ihn gekümmert, als er klein war. Das
Geld für die Militärakademie habe ich bezahlt. Und
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