Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
Vom Netzwerk:
mir in Sarıkamış
die Zehen abgefroren habe, hast du hier deinen florierenden Zuckerhandel betrieben.
In Sakarya wäre ich fast umgekommen, und du hast indessen deine Firma
vergrößert!« Mit weinerlichem Gesicht rückte er näher an Cevdet heran. »Jetzt
habe ich diese Frau kennengelernt. Die ist meine letzte Chance, begreifst du
das? So etwas bietet sich nie wieder!«
    Cevdet bekam es fast schon mit der
Angst zu tun. Sein Neffe hatte eine Alkoholfahne. »Er hat sich also Mut
angetrunken! Und will nichts anderes als mit einer Frau Geld durchbringen! Da ist
er eben auf mich verfallen!« Eigentlich hätte sein Neffe ihm leid tun müssen, aber dazu rang er sich nicht durch,
sondern empfand viel eher Ekel. Er hatte da jemanden vor sich, der völlig
ungerührt verkündete, er werde Frau und Kind im Stich lassen. »Gnade dir Gott,
hätte mein Vater selig gesagt. Aber ich weiß schon gar nicht mehr, was ich
sagen soll.«
    Ziya schrie nun wieder: »Solange du
mir nichts gibst, lasse ich dir keine Ruhe!«
    »Junge, jetzt setz dich doch erst
mal wieder!« Da Ziyas verzerrtes Gesicht aber immer noch ganz nah an dem seinen
war, sagte Cevdet plötzlich: »Ich gebe dir, was du willst! Aber komm erst mal
wieder zu dir! Dass du nach all den Jahren so über deinen Onkel denkst!«
    Ziya war ganz verdutzt. »Darf ich
mir eine Zigarette anzünden?« fragte er. Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er
nach dem Zigarettenpäckchen auf dem Tisch. Ihm zitterten die Hände. Er war in
einem erbärmlichen Zustand.
    Auch Cevdet war völlig erschöpft. Er
sah seinem rauchenden Neffen zu und war zu keinem vernünftigen Gedanken mehr
fähig. Er sehnte sich nach langem, tiefem Schlaf. Schließlich fragte er:
»Wieviel willst du?«
    »Nicht besonders viel. Soviel, dass
ich in Karaköy ein Geschäft aufmachen und arbeiten kann. Oder genug für eine
Wohnung in Taksim …« Er war um einen entschlossenen Eindruck bemüht und zog
nervös an seiner Zigarette.
    »Oje, wo soll ich denn so viel
hernehmen?« klagte Cevdet. »Ich hatte eher gedacht …«
    Ziya stammelte etwas Wütendes, doch
Cevdet hielt sich die Hand hinters Ohr, um zu zeigen, dass er nichts verstand.
    »Ich gebe keine Ruhe! Ich werde dich
heimsuchen wie ein Gespenst!« Wieder stand Ziya auf und rückte Cevdet mit
seinem unschönen Gesicht und seinem Alkoholgestank auf den Pelz.
    Wieder wurde Cevet von einem
Hustenanfall gepackt. Minutenlang saß er vorgebeugt da, vom Husten geschüttelt.
Nach einer kurzen Pause ging es dann schon wieder los. Er rückte dabei so nahe
an den Tisch heran, dass er mit dem Kopf fast daran schlug; das Blut schoss ihm
ins Gesicht, und die Augen schienen aus ihren Höhlen hervorzutreten. Er horchte
auf sein Herz und dachte: »Vielleicht sterbe ich ganz einfach!« Schließlich
merkte er, dass ihm nichts weiter passieren würde, doch angesichts dieses
erpresserischen Neffen kam ihm der Gedanke, so gekrümmt sein Leben
auszuhauchen, derart monströs vor, dass er nicht mehr an sich halten konnte. Er
wies dem erschrocken dreinblickenden Ziya die Tür und rief zwischen zwei
Hustenkrämpfen: »Raus mit dir! Raus!« Dann sah er kurz zu Ziya auf und
krächzte: »Wir reden ein andermal weiter!«
    Sein Neffe stand zitternd vor dem
Tisch. Er wollte wohl etwas sagen, aber Cevdet nahm lediglich wahr, dass seine
Lippen sich bewegten. Als sei er von seinem Onkel nicht wegen seiner
Respektlosigkeiten beschimpft worden, sondern weil er sich unterstanden hatte
zu rauchen, verbarg Ziya die Zigarette in seiner Hand.
    »Raus mit dir, du frecher Kerl!«
wimmerte Cevdet. Er sah nun ein, dass es keinen Sinn hatte, den Husten
unterdrücken zu wollen, und ließ ihm freien Lauf. Als er Ziya gehen sah, wollte
er noch etwas sagen, fand aber keine Kraft dazu. In Luftröhre und Lungen schien
ein Feuer zu brennen, das beim Husten ausgespien werden musste. Als er wieder
einigermaßen zu sich kam, wischte er sich mit dem Taschentuch die Schweißperlen
von der Stirn. Er war wieder allein, kam sich alt und schwach vor, außer Atem.
»Ein Gespenst … Er weiß also ganz genau, was er ist … ein Gespenst!« Cevdet
versuchte sich wieder zu fassen. »Gespenst!« Alles, was in den letzten zwei
Stunden eingestürzt war, musste nun mühsam wiederaufgebaut werden.

13
  UM DIE HAND ANHALTEN
    Das nach der Pfeife seines Onkels und dem Parfum seiner
Tante duftende Taxi bog in eine Seitenstraße des Neubauviertels Yenişehir ein und blieb dann auf
Ömers Zeichen hin vor einem der gleichförmig gebauten

Weitere Kostenlose Bücher