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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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stand. Da merkte
Nigân, dass es Zeit war zu gehen, und sie beugte sich noch einmal vor, um dem
Paşa die Hand zu küssen. Seyfı Paşa bemühte sich, den an Cevdets
Rockzipfeln hängenden Enkeln etwas Liebenswürdiges zu sagen, doch was er da an
Geröcheltem herausbrachte, verschreckte die beiden lediglich. Seinen Diener
stoßend und scheltend, zog der Paşa schließlich davon.
    »Wie alt er geworden ist!« seufzte
Nigân.
    Cevdet dachte: »Und doch ganz schön
rüstig für sein Alter!« Lange ging er am Arm seiner Frau schweigend dahin. Als
sie in Nişantaşı anlangten, blieb er stehen. »Warum nur hat ihm
Nigân die Hand geküsst?« Quietschend fuhr eine Trambahn an ihnen vorbei. »Warum
nur?« Ein Auto hupte wütend, und die beiden Jungen schmiegten sich erschrocken
an ihren Großvater. Seyfı Paşa hatten sie wohl schon vergessen, doch
steckte noch eine vage Furcht in ihnen. Als Nigân dem Paşa die Hand
geküsst hatte, war irgendwie eine merkwürdige Spannung aufgekommen, als sei
etwas zerbrochen oder ein Vergehen begangen worden oder als habe ein
heimtückischer Wind geweht. Cevdet steigerte sich wegen dieses Handkusses in
immer größeren Ärger hinein und sandte an seine Frau vorwurfsvolle Blicke, doch
die bemerkte davon nichts. Langsam gingen sie über die Straße und sahen ihr
Haus und die Linden und Kastanien im vorderen Garten.
    Die Fenster im Obergeschoss waren
trotz der Kälte geöffnet. Am Gitter des Seitenbalkons hing ein weißer
Stofffetzen als Zeichen für die Wasserträger. Vom Schornstein stieg dünner blauer
Rauch auf, der sich sofort auflöste. Im Garten hinter dem Haus wiegten sich die
kahlen Bäume im Wind. An der Mauer schlich eine Katze entlang. »Jetzt habe ich
Hunger!« dachte Cevdet. »Ich gehe jetzt ins Haus und esse mich satt. Dann
rauche ich eine schöne Zigarette, und danach kommt ein langer, erquickender
Mittagsschlaf …«

15
  DER DICHTERINGENIEUR BEI DER VERLOBUNG
    Plötzlich ging die Tür auf. Muhittins Mutter
sagte: »Junge, du solltest mal an die frische Luft! Oder trink Tee mit mir!
Aber geh mal raus aus deinem Zimmer. Komm, setz dich ein wenig zu mir. Da hast
du nur diesen einen freien Tag in der Woche, und den verbringst du in dem
verräucherten Zimmer zwischen deinen Büchern. Sieh doch mal, wie totenbleich du
bist!«
    »Mama, ich trinke meinen Tee später!
Und sowieso gehe ich bald aus. Heute ist Ömers Verlobung.«
    »Ach ja, Ömer verlobt sich? Warum
erzählst du mir davon nichts? Mit wem denn?«
    »Mit einem Mädchen!« gab Muhittin
kühl zurück, aber selbst das reute ihn schon. »Jetzt wird sie mich fragen, wie
sie heißt, was ihr Vater von Beruf ist, und sie wird tausend Sachen wissen
wollen!« Um jeglichen Fragen vorzubeugen, setzte er ein abweisendes Gesicht
auf.
    »Ich wollte nur sagen, dass der Tee
fertig ist«, sagte die Mutter und ging wieder.
    »Jetzt habe ich ihr weh getan!
Musste das sein? Ich hätte doch ihre Neugier befriedigen und ihr ein paar
Brocken Information geben können, das hätte sie dann ein, zwei Tage
beschäftigt.« Aber dann dachte er wieder, dass seine Mutter sich damit nie und
nimmer zufriedengegeben hätte. Aus Anlass von Ömers Glück hätte sie dann von
anderen glücklichen Menschen erzählt, die verlobt oder verheiratet waren, und
zwar um ihrem Sohn zu zeigen, wie traurig sie war, dass er selbst nicht so
glücklich sein konnte, und um ihn darauf hinzuweisen, was er nur zu tun hatte,
um sein Unglück hinter sich zu lassen. »Und sonst? Mal wieder nichts zustande
gebracht!« Er stierte die Tür an.
    Es war bald fünf Uhr nachmittags. Seit
dem Morgen saß er in seinem Zimmer auf der Anhöhe von Beşiktaş am
Schreibtisch. Sonntags schrieb er seine Gedichte. Selbst in der Woche setzte er
sich manchmal abends zum Schreiben hin, aber da er zu müde war, gelang ihm kaum etwas. Auch nun hatte er so gut
wie nichts zuwege gebracht. Seit Stunden feilte er an einem alten Gedicht herum
und tat doch nichts anderes, als immer wieder das gleiche hinzuschreiben und
dann wieder durchzustreichen. Er stand auf und ging ans Fenster. In
Beşiktaş herrschte ein frischer junger Frühling. Von der
Serencebeystraße her, die hinunter an den Bosporus führte, kamen sonntägliche
Spaziergänger zurück. Bald würden die Schwalben auffliegen, die am späten
Nachmittag den Himmel verdunkelten. Auf dem reglos wirkenden Bosporus fuhren
zwei Schleppkähne, über einem Schornstein kreiste ein Milan. »Mir ist wieder
nichts geglückt!« Normalerweise wäre er nach

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