Chalions Fluch
seines Tellers schwebte, und spülte den letzten Bissen seiner Mahlzeit mit einem Schluck gut verdünnten Weines hinunter. Vier oder fünf Geister waren ihm in die Halle gefolgt und drängten sich nun um ihn, wie frierende Kinder um einen Ofen. Ganz ohne nachzudenken hatte er selbst an diesem Abend düstere Kleidung angelegt. Er fragte sich, ob er sich die Mühe machen und sich Kleidung in den korrekten Farben besorgen sollte, wie der stets modebewusste dy Rinal sie jetzt trug: Lavendel und Schwarz. Würde die Abscheulichkeit, die in seinem Bauch eingeschlossen war, dies als Heuchelei empfinden, oder als Geste des Respekts? Würde sie es überhaupt mitbekommen? Wie viel von ihrer abstoßenden Natur hatte Dondos Seele behalten, nachdem sie eben erst aus dem Körper gerissen worden war? Diese verwitterten alten Geister schienen ihn von außen zu beobachten … beobachtete Dondo ihn aus seinem Innern?
Cazaril lächelte kurz, um dy Rinal nicht mit einem Schreikrampf erschrecken zu müssen. Er brachte sogar eine höfliche Frage zu Stande: »Bleibt Ihr oder geht Ihr auch?«
»Ich gehe auch. Ich reite mit der Gräfin dy Heron, bis wir ihr Herrschaftsgebiet erreichen. Von dort werde ich über die niedrigeren Pässe nach Hause reisen. Vielleicht ist die alte Dame über ein weiteres Schwert in ihrer Schar ja auch so glücklich, dass sie mich zum Bleiben einlädt.« Er nahm einen Schluck Wein und senkte die Stimme. »Ist Euch eigentlich klar, dass Lord Dondo sich noch irgendwo hier herumtreiben muss, wenn selbst der Bastard ihn nicht nehmen wollte? Man vermutet, dass er nur das Palais der dy Jironals heimsucht, wo er auch gestorben ist, aber er könnte überall hier in Cardegoss sein. Er war schon die Boshaftigkeit in Person, ehe er ermordet wurde – nun kommt auch noch Rachedurst hinzu. In der Nacht vor der Hochzeit umgebracht – bei den Göttern!«
Cazaril antwortete mit einem nichts sagenden Grunzen.
»Der Kanzler scheint fest entschlossen, es auf einen Todeszauber zu schieben. Aber es würde mich nicht wundern, wenn doch Gift im Spiel wäre. Jetzt kann man es nicht mehr feststellen, nehme ich an, nachdem der Tote verbrannt wurde. Irgendjemandem kommt das sehr gelegen.«
»Aber er war inmitten seiner Freunde! Sicher hätte keiner … wart Ihr dort?«
Dy Rinal verzog das Gesicht. »Nach Fräulein Schwein? Nein. Ihrem Quieken sei Dank – ich war bei dieser Schlächterei nicht zugegen.« Dy Rinal sah sich um, als hätte er Angst, ein bösartiger Geist könnte sich an ihn heranpirschen. Dass ein halbes Dutzend solcher Wesen auf Armlänge entfernt waren, ahnte er offensichtlich nicht. Cazaril schob einen von seinem Gesicht fort und gab sich Mühe, mit seinen Augen nicht einen Punkt zu fixieren, der seinem Gegenüber wie leere Luft erscheinen musste.
Ser dy Maroc, der Garderobenmeister des Königs, kam an ihren Tisch geschlendert und sagte: »Dy Rinal! Habt Ihr schon die Neuigkeiten aus Ibra gehört?« Zu spät erkannte er Cazaril, der sich mit den Ellbogen auf den Tisch gegenüber von dy Rinal stützte. Dy Maroc zögerte und wurde rot.
Cazaril lächelte säuerlich. »Man kann nur hoffen, dass Ihr Euren Klatsch aus Ibra aus verlässlichen Quellen bezieht, Maroc.«
Dy Maroc blickte finster. »Wenn der Kurier der Kanzlei eine solche Quelle ist, dann ja. Er kam ganz aufgelöst ins Zimmer, als mein Oberschneider Oricos Trauerkleidung anpasste – er musste sie um vier Fingerbreit weiten! Wie auch immer, es ist jedenfalls offiziell: Der Thronfolger von Ibra verstarb letzte Woche in Süd-Ibra, ganz unerwartet, an einem heftigen Fieber. Seine Anhängerschaft ist auseinander gefallen, und jeder versucht nun in aller Eile, mit dem alten Fuchs zu einer Einigung zu kommen, oder das eigene Leben zu retten, indem er die alten Verbündeten verrät. Der Krieg in Süd-Ibra ist beendet.«
»Na!« Dy Rinal setzte sich aufrecht hin und strich sich den Bart. »Ist das nun eine gute Neuigkeit oder eine schlechte? Gut für das geplagte Ibra, das wissen die Götter. Aber unser Orico hat schon wieder die Verliererseite gewählt!«
Dy Maroc nickte. »Wie es heißt, ist der Fuchs äußerst aufgebracht über Chalion, das diesen Kessel umgerührt und angeheizt hat. Nicht dass der Thronfolger zusätzliches Feuerholz gebraucht hätte …«
»Vielleicht wurde die Streitlust des alten Königs zusammen mit seinem Erstgeborenen zu Grabe getragen«, sagte Cazaril ohne große Hoffnung.
»Also hat der Fuchs jetzt einen neuen Erben, dieses Kind, das er
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