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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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beschützen, wenn er jetzt starb? Wie viel Zeit blieb ihm noch für seine Versuche, eine bessere Stütze für sie zu finden? Wem konnte er sie sicher anvertrauen? Betriz mochte vielleicht Schutz finden, indem sie beispielsweise die Frau eines unerschrockenen Landedelmannes wurde, wie Graf dy Palliar, zum Beispiel. Aber Iselle? Ihre Großmutter und ihre Mutter waren zu schwach und zu weit weg, Teidez war zu jung, und Orico stand ganz offensichtlich völlig unter dem Einfluss seines Kanzlers. Es konnte keine Sicherheit für Iselle geben, solange sie diesen verfluchten Hof nicht verließ.
    Ein weiterer Krampf zwang Cazarils Aufmerksamkeit wieder auf die tödliche kleine Hölle in seinem Leib, und besorgt hob er die Decke an und blickte auf seinen verkrampften Magen. Ob dieses Sterben sehr schmerzhaft war? Heute Morgen hatte er nicht so viel Blut im Stuhl gehabt. Blinzelnd schaute er sich in seiner von der frühen Nachmittagssonne erhellten Kammer um. Da waren immer noch diese seltsamen Halluzinationen – bleiche, verschwommene Flecken am Rande seines Gesichtsfeldes, die er früher am Tag auf den reichlich genossenen Wein der letzten Nacht zurückgeführt hatte. Waren sie ein weiteres Symptom?
    Ein energisches Pochen erklang von der Zimmertür her. Cazaril kroch aus seiner warmen Zuflucht, schlurfte durchs Gemach und öffnete. Umegat stand da, mit einem verschlossenen Krug, wünschte Cazaril einen guten Nachmittag, kam herein und zog die Tür hinter sich zu. Er war immer noch von einem schwachen Leuchten umgeben, also war der gestrige Tag doch nicht nur ein bizarrer böser Traum gewesen.
    »Meine Güte«, stieß der Tierpfleger hervor und sah sich erstaunt um. »Husch! Husch!«
    Die bleichen, verschwommenen Flecken wirbelten im Gemach umher und verschwanden in den Wänden.
    »Was sind das für Dinger?«, fragte Cazaril und legte sich behutsam wieder ins Bett. »Seht Ihr sie auch?«
    »Geister. Hier, trinkt das.« Umegat schüttete etwas aus seinem Krug in den glasierten Becher, der zu Cazarils Waschschüssel gehörte, und reichte das Gefäß weiter. »Das wird Euren Magen beruhigen und Euren Geist frei machen.«
    Cazaril wollte den Trunk schon mit Abscheu zurückweisen, bis er entdeckte, dass es kein Wein war, sondern eine Art kalter Kräutertee. Vorsichtig probierte er davon. Der Tee war angenehm bitter, und seine Schärfe hatte eine reinigende Wirkung, die Cazaril sehr gelegen kam, denn seine Zunge hatte sich schon pelzig angefühlt. Umegat zog einen Stuhl neben das Bett und machte es sich bequem. Cazaril schloss die Augen und öffnete sie dann wieder. »Geister?«
    »Noch nie sah ich so viele der Geister des Zangres an einem Ort versammelt! Offenbar werden sie von Euch angelockt wie die heiligen Tiere.«
    »Kann sie sonst noch jemand sehen?«
    »Jeder, der das innere Auge besitzt. Das sind drei in Cardegoss, soweit ich weiß.«
    Und zwei davon sind anwesend. »Waren sie schon immer da?«
    »Dann und wann erhasche ich einen Blick auf sie. Für gewöhnlich sind sie zurückhaltender. Ihr müsst keine Angst vor ihnen haben. Sie sind machtlos und können Euch nichts tun. Alte, verlorene Seelen.« Als Antwort auf Cazarils ziemlich geschockten Gesichtsausdruck fügte Umegat noch hinzu: »Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass eine dahingegangene Seele von keinem Gott aufgenommen wird. Dann bleibt sie zurück und streift ziellos in der Welt umher. Dabei verliert sie immer mehr von ihrem Bewusstsein und löst sich allmählich auf. Neue Geister nehmen zunächst die Gestalt an, die sie zu Lebzeiten hatten, doch in ihrer Verzweiflung und Einsamkeit können sie diese nicht aufrechterhalten.«
    Cazaril schlang die Arme um seinen Leib. »Oh.« Seine Gedanken versuchten, in drei Richtungen gleichzeitig zu laufen: Was war das Schicksal der Seelen, die bei den Göttern Aufnahme fanden? Und was genau geschah eigentlich derzeit mit dem erzürnten Geist, der auf so wunderbare und Furcht erregende Weise in ihm stecken geblieben war? Und … Cazaril erinnerte sich wieder an die Worte der Königinwitwe Ista: Es spukt im Zangre, müsst Ihr wissen. Das war wohl doch keine Metapher und kein Anzeichen von Wahnsinn gewesen, sondern eine bloße Beobachtung. Wie viel sonst von den unheimlichen Dingen, die sie erzählt hatte, mochte keine Geistesgestörtheit gewesen sein, sondern die schlichte Wahrheit – mit anderen Augen gesehen?
    Er blickte auf und stellte fest, dass Umegat ihn nachdenklich ansah. Höflich erkundigte sich der Roknari: »Und wie

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