Chalions Fluch
zögerte. »Orico … geht es schon seit einiger Zeit nicht so gut. Aber ich bin sicher, dy Jironal hätte nie damit gerechnet, dass sie beide zugleich so schlimm erkranken. Du könntest dy Yarrin darauf hinweisen, dass unser geliebter Kanzler während der nächsten paar Tage ziemlich abgelenkt sein wird. Wenn die Kapitelherrn hinter seinem Rücken an Oricos Krankenbett gelangen und etwas unterzeichnen lassen wollen, könnte jetzt die beste Gelegenheit für sie gekommen sein.«
Er entzog sich der Fülle von Schlussfolgerungen, die Palli darauf folgen ließ, nicht aber Pallis eindringlichem Wunsch, die Dy-Gura-Brüder als Eskorte mitzunehmen. Seit geraumer Zeit kreisten seine Gedanken nur noch darum, wie er Iselles Flucht aus dem Niedergang ihres verfluchten Hauses bewerkstelligen konnte. Als er nun jedoch ein weiteres Mal den Hügel emporstieg, verlagerte seine Aufmerksamkeit sich auf das näher liegende Problem, nicht vor den Augen dieser ernsthaften jungen Männer zusammenzubrechen. Nur mit eiserner Entschlossenheit vermied er es, zwischen ihnen dahinzustolpern und sich, die Armen über ihren Schultern, von ihnen nach Hause schleppen zu lassen.
Als Cazaril in den dritten Stock des Hauptgebäudes zurückkehrte, war der Flur überfüllt. Grün gewandete Ärzte huschten mit Akolythen, die ihnen zur Hand gingen, durch die Türen. Dienstboten eilten mit Wasser, Tüchern und mit merkwürdigen Tränken in silbernen Krügen umher. Während Cazaril noch unschlüssig dastand und sich überlegte, wie er zu Diensten sein konnte, trat der Erzprälat aus dem Vorzimmer und schritt über den Gang. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Miene in sich gekehrt.
»Eminenz?« Cazaril berührte ihn an seinem fünffarbigem Ärmel, als er vorüberging. »Wie geht es dem Jungen?«
»Ah, Lord Cazaril!« Mendenal wandte sich ihm kurz zu. »Der Kanzler und die Prinzessin haben mir Spenden übergeben, um für ihn beten zu lassen. Ich bin unterwegs, dies zu veranlassen.«
»Glaubt Ihr, Gebete werden helfen?« Glaubt Ihr, dass Gebete stets nur hilfreich sind?
»Gebete sind immer gut.«
Nein, sind sie nicht, wollte Cazaril erwidern, doch er hielt sich zurück.
Leise und bedeutungsvoll fügte Mendenal hinzu: »Eure Gebete könnten besonders wirksam sein – im Augenblick.«
Davon hatte Cazaril noch nichts bemerkt. »Eminenz, in dieser Welt hasse ich niemanden so sehr, dass ich ihn die Wirkung meiner Gebete spüren lassen will.«
Mendenal brachte ein Lächeln zu Stande und entfernte sich.
Prinzessin Iselle trat auf den Flur und blickte in beide Richtungen, erspähte Cazaril und winkte ihn zu sich.
Er verbeugte sich. »Hoheit?«
Auch sie flüsterte. Jeder hier schien in gedämpftem Tonfall zu sprechen. »Es ist von einer Amputation die Rede. Könnt Ihr … wärt Ihr bereit, dabei zu helfen, ihn festzuhalten, wenn es so weit kommen sollte? Ihr seid doch mit dem Vorgang vertraut?«
»Allerdings, Hoheit.« Er schluckte. Albtraumhafte Erinnerungen huschten durch sein Gedächtnis, von unangenehmen Augenblicken in Feldlazaretten. Er hatte nie so recht entscheiden können, welche Art von Patienten für die Helfer am schwersten zu ertragen war: Diejenigen, die versuchten, alles tapfer durchzustehen oder diejenigen, die vor Angst fast wahnsinnig wurden. Am besten waren die Männer, die von Anfang an bewusstlos waren.
»Teilt den Ärzten mit, ich stehe Ihnen und Prinz Teidez zur Verfügung.«
Während Cazaril im Vorzimmer an der Wand lehnte und wartete, konnte er hören, wie dieser Vorschlag allmählich zu Teidez durchdrang. Wie es aussah, würde der Junge zur zweiten Kategorie gehören. Er weinte, schluchzte, tobte und brüllte, dass er sich nicht von Verrätern und Schwachsinnigen zum Krüppel machen ließe. Sein Entsetzen legte sich erst, als ein zweiter Arzt die Meinung äußerte, dass die Entzündung nicht brandig sei – Cazarils Nase stimmte dem zu –, sondern dass es sich eher um eine Blutvergiftung handle. Eine Amputation würde daher zu diesem Zeitpunkt mehr Schaden als Nutzen anrichten. Die Behandlung wurde also auf bloßen Aderlass beschränkt, obwohl es genauso gut eine Amputation hätte sein können, nach Teidez’ Schreien und seiner Gegenwehr zu urteilen. Trotz der Behandlung der Wunde stieg Teidez’ Fieber. Diener schleppten Eimer mit kaltem Wasser herbei und ließen ihm in einer Kupferwanne im Aufenthaltsraum ein Bad ein, in das die Ärzte ihn gewaltsam setzen mussten.
Mit all den Heilkundigen, Akolythen und Dienstboten
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