Chalions Fluch
»Gewiss.«
Als Betriz Iselle nach draußen geleitete, flüsterte die Prinzessin Cazaril im Vorübergehen zu: »Steht mir in einer halben Stunde zur Verfügung, Cazaril. Ich muss nachdenken.«
Cazaril senkte den Kopf.
Die Menge der Höflinge im Vorzimmer und im Aufenthaltsraum zerstreute sich, abgesehen von Teidez’ Schreiber, der verlassen und nutzlos stehen blieb. Nur die Akolythen und Diener, deren Aufgabe jetzt darin bestand, den Leichnam des Prinzen zu waschen und vorzubereiten, blieben noch. Der fassungslose, verzweifelte Chor der Kantoren sang ein letztes Gebet, diesmal ein Klagelied über das Hinscheiden der Toten. Ihre Stimmen stockten und verstummten, und schließlich ging auch sie.
Cazaril war sich nicht sicher, was schlimmer schmerzte: sein Kopf oder sein Leib. Er flüchtete in sein Gemach am Ende des Gangs, schloss die Tür hinter sich und wappnete sich für Dondos nächtlichen Ansturm, der, wie sein verkrampfter Bauch ihm verriet, nicht mehr lange auf sich warten ließ.
Als die Schmerzen dann kamen, krümmte er sich wie immer, doch zu seiner Überraschung blieb Dondo in dieser Nacht stumm. War auch er erschrocken über Teidez’ Tod? Wenn Dondo geplant hatte, im Anschluss an Orico auch den Jungen zu verderben, hatte er dies nun erreicht – jedoch zu spät, um damit noch irgendeinem Zweck zu dienen, den er zu Lebzeiten verfolgt hatte.
Cazaril fand keinen Trost in Dondos Schweigen. Sein Gespür für die bösartige Präsenz verriet ihm, dass Dondo noch immer in seinem Innern gefangen war.
Hungrig. Zornig. Nachdenkend …? Bisher hatten Dondos wütende Ausbrüche nicht viel Verstand erkennen lassen. Womöglich konnte er allmählichen den Schock seines Todes abschütteln. Und das führt wozu? Lauern? Anpirschen? Einst war Dondo ein sehr guter Jäger gewesen.
Vielleicht trachtete der Dämon danach, seine beiden Seeleneimer zu füllen und zu seinem Herrn zurückzukehren. Dondo jedoch teilte dieses Bedürfnis sehr wahrscheinlich nicht. Der Bauch seines schlimmsten Feindes war sicher ein verhasstes Gefängnis für ihn, aber weder das Fegefeuer des Bastards noch das kalte Vergessen der von den Göttern zurückgewiesenen Geister konnten zufriedenstellende Alternativen für ihn sein. Cazaril vermochte sich schwer vorzustellen, was sonst noch möglich war, doch eins war ihm nur zu deutlich bewusst: Falls Dondo eine körperliche Hülle suchte, um in die Welt zurückzukehren, war die seine am einfachsten zu erreichen. Er rieb sich den Leib und versuchte zu erraten – zum hundertsten Mal inzwischen –, wie rasch das Geschwür wuchs.
Dann gingen die Krämpfe und die quälende Viertelstunde des Schreckens vorüber. Er erinnerte sich an Iselles Bitte. Es würde schmerzhaft sein, den notwendigen Brief zu verfassen und Ista vom Tod ihres Sohnes zu berichten. So war es kaum verwunderlich, dass Iselle dabei seine Hilfe in Anspruch nehmen wollte. Cazaril fühlte sich dieser Aufgabe kaum gewachsen, doch er musste versuchen, ihr alles zu geben, was sie in ihrer Trauer und Verzweiflung von ihm forderte. Er richtete sich auf, stemmte sich aus dem Bett und stieg die Treppe hinauf.
Dort saß Iselle bereits an seinem Schreibpult im Vorzimmer, und sein bestes Pergament, Schreibfedern und Siegelwachs lagen vor ihr ausgebreitet. Zusätzliche Kerzen waren überall im Gemach entzündet worden und drängten die Dunkelheit zurück. Betriz breitete gerade auf einem Seidentuch eine seltsame kleine Schmucksammlung aus und zählte die Stücke: Broschen, Ringe und Dondos bleich schimmernde Perlenschnur – Cazaril hatte bisher noch nicht die Gelegenheit gefunden, sie im Tempel abzugeben.
Nachdenklich blickte Iselle auf das leere Blatt und drehte dabei ihren Siegelring auf dem Daumen immer wieder um. Dann blickte sie auf und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ihr seid da. Gut. Schließt die Tür.«
Er zog sie leise hinter sich zu. »Zu Euren Diensten, Hoheit.«
»Ich hoffe es, Cazaril. Ich hoffe es!« Sie musterte ihn eingehend.
Mit besorgter Stimme wandte Betriz ein: »Er ist so krank, Iselle. Seid Ihr sicher?«
»Ich bin mir über gar nichts sicher, außer, dass mir keine Zeit mehr bleibt. Und keine andere Wahl.« Sie atmete tief ein. »Cazaril, ich wünsche, dass Ihr morgen früh als mein Gesandter nach Ibra reitet und dort meine Hochzeit mit Prinz Bergon arrangiert.«
Cazaril versuchte, den Wagenzug an Gedanken einzuholen, der offenbar schon ein gutes Stück weit gekommen war. »Kanzler dy Jironal wird mich niemals
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