Chalions Fluch
nannten. Aber irgendwie fand sich keiner von ihnen bereit, vor Gericht Zeugnis abzulegen, als der Vater des Jungen dy Naoza anklagte. Es gab auch einige Zweifel an der Redlichkeit des Richters, sagen die Gerüchte.«
»Ts, ts«, entfuhr es der Herzogin. Cazaril wagte wieder zu schlucken und sagte: »Fahrt fort!«
Solcherart ermuntert, redete der Majordomus weiter: »Der Kaufmann war Witwer, und der Junge war nicht nur sein einziger Sohn, sondern auch sein einziges Kind überhaupt. Und er stand kurz vor der Hochzeit, um die Sache noch schlimmer zu machen. Ein Todeszauber ist eine üble Angelegenheit, das ist wohl wahr, aber ich kann ein wenig Mitgefühl für den armen Kaufmann nicht verhehlen … für den reichen Kaufmann, um genau zu sein. Aber in jedem Fall war er viel zu alt, um seine Fechtkünste so weit zu verbessern, dass er einen Mann wie dy Naoza auf diese Weise zur Rechenschaft ziehen könnte. Also verfiel er auf den einzigen Ausweg, den er noch sah. Er verbrachte das gesamte letzte Jahr mit dem Studium der Schwarzen Künste, während seine Geschäfte brachlagen, wie ich mir sagen ließ. Und dann, in der vergangenen Nacht, begab er sich zu einer verlassenen Mühle sieben Meilen von Valenda entfernt und versuchte sich in der Anrufung eines Dämons. Und, beim Bastard, er hatte Erfolg! Sein Körper wurde heute Morgen dort gefunden.«
Der Wintervater war der Gott aller Toten im reiferen Alter, und der Gott der Gerechtigkeit. Doch zusätzlich zu allen anderen Katastrophen, die ihm zu Gebote standen, war der Bastard auch der Gott der Scharfrichter. Und darüber hinaus der Gott eines ganzen Bündels weiterer verrufener Tätigkeiten. Wie es scheint, hat der Kaufmann sein Wunder an der richtigen Stelle erbeten. Das Gewicht des Notizbuchs in Cazarils Überwurf lastete plötzlich schwer auf ihm, aber es war nur seine Einbildung, die ihn fürchten ließ, es könne sich unvermittelt durch den Stoff brennen und in Flammen aufgehen.
»Nun, ich habe kein Mitleid mit dem Burschen«, erklärte Prinz Teidez. »Das war eine feige Tat!«
»Allerdings«, merkte sein Erzieher vom Ende des Tisches her an. »Aber was erwartet Ihr von einem Kaufmann? Männer seines Standes werden nicht nach dem gleichen Ehrenkodex erzogen, der dem wahren Edelmann ansteht!«
»Aber es ist so traurig!«, sagte Iselle. »Wegen des Sohnes, der so kurz vor der Hochzeit stand!«
Teidez schnaubte. »Ihr Mädchen denkt immerzu ans Heiraten! Aber was ist der größere Verlust für das Königreich? Irgendein Geld scheffelnder Wollhändler, oder ein Schwertkämpfer? Ein Duellant mit solcher Begabung müsste auch ein hervorragender Soldat für den König sein!«
»Meiner Erfahrung nach ist das nicht der Fall«, warf Cazaril trocken ein.
»Was meint Ihr damit?«, gab Teidez herausfordernd zurück.
»Verzeiht«, murmelte Cazaril beschämt. »Meine Bemerkung war fehl am Platze.«
»Was ist der Unterschied?«, drängte Teidez weiter auf Antwort.
Die Herzogin klopfte mit einem Finger auf die Tischdecke und warf ihm einen undeutbaren Blick zu. »Werdet deutlicher, Kastellan!«
Cazaril zuckte mit den Achseln und deutete eine entschuldigende Verbeugung in Richtung des Jungen an. »Der Unterschied, Prinz, ist der, dass ein guter Soldat Eure Feinde tötet, während ein guter Duellant Eure eigenen Leute dezimiert. Ich überlasse Euch die Entscheidung, welche Art Kämpfer ein weiser Kommandeur lieber in seinem Feldlager hätte.«
»Oh«, sagte Teidez, schwieg und schaute nachdenklich drein.
Allem Anschein nach bestand nun keine Eile mehr, das Notizbuch des Kaufmanns den zuständigen Stellen weiterzuleiten. Aber auch keine Schwierigkeit. Cazaril konnte morgen schon nach Belieben einen Geistlichen des Tempels der Heiligen Familie hier in Valenda aufsuchen und das Buch abgeben. Es musste entschlüsselt werden. Manch einer fand diese Art Aufgabe schwierig oder gar langweilig, doch Cazaril hatte bei solchen Rätseln stets Entspannung gefunden. Er dachte darüber nach, ob er höflicherweise seine Hilfe bei der Entzifferung anbieten sollte. Er griff in seine weiche Wollrobe und war dankbar, dass er während der hektischen Einäscherung die Zeit gefunden hatte, für den Toten zu beten.
Betriz kniff die dunklen Brauen zusammen und fragte: »Wer war der verantwortliche Richter, Vater?«
Dy Ferrej zögerte einen Augenblick und meinte dann achselzuckend: »Der Ehrenwerte Vrese.«
»Ah«, sagte die Herzogin. »Der.« Sie rümpfte die Nase, als hätte sie einen üblen
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