Chalions Fluch
sie ohne Zweifel beobachten können, was hochgeborene Frauen nach ihrer Hochzeit alles erwarten mochte. Würde man Iselle in das weit entfernte Darthaca schicken? Oder mit irgendeinem Vetter im allzu eng verwandten Brajar verheiraten? Die Götter mochten verhindern, dass sie an die Roknari verschachert würde, um irgendeinen kurzlebigen Frieden zu besiegeln – und selbst den Rest ihres Lebens auf die Inseln verbannt zu sein.
Im Licht der üppigen Kerzenleuchter, die sie stets so geschätzt hatte, musterte die Herzogin Cazaril aus den Augenwinkeln. »Wie alt seid Ihr inzwischen, Kastellan? Ich denke, Ihr wart dreizehn, als Euer Vater Euch hierher geschickt hat, um meinem teuren Herzog zu dienen.«
»Das mag hinkommen, Hoheit. Inzwischen bin ich fünfunddreißig.«
»Ah. Dann solltet Ihr Euch das scheußliche Gestrüpp abschneiden lassen, das da in Eurem Gesicht sprießt. Es macht Euch fünfzehn Jahre älter, als Ihr tatsächlich seid.«
Cazaril sann über eine geistreiche Bemerkung nach, dass eine Dienstzeit auf den Galeeren der Rok nari einen Mann durchaus ein wenig altern ließ. Doch er war dem Thema noch nicht gewachsen. Stattdessen bemerkte er nur: »Ich hoffe, ich habe den Prinzen nicht mit meinem Geschwätz erzürnt, Herrin.«
»Nein, nein! Ihr habt den jungen Teidez zum Nachdenken gebracht, würde ich sagen. Ein seltenes Ereignis. Ich wünschte, sein Erzieher brächte das häufiger zu Stande.« Sie klopfte mit ihren dünnen Fingern kurz auf die Tischdecke und leerte dann den letzten Rest ihres kleinen Weinglases, setzte es ab und fügte hinzu: »Ich weiß nicht, was für ein flohverseuchtes Gasthaus Ihr unten in der Stadt aufgetan habt, Kastellan, aber ich werde einen Pagen nach Eurem Gepäck schicken. Ihr werdet hier übernachten!«
»Vielen Dank, Hoheit. Ich nehme Eure Einladung dankbar an.« Und äußerst bereitwillig. Dank sei den Göttern, fünf Mal fünf Mal – er war untergekommen, zumindest vorläufig. Dann zögerte er verlegen. »Allerdings müsst Ihr Euren Pagen keine Umstände bereiten.«
Sie runzelte die Stirn. »Dafür sind Pagen da, wie Ihr Euch erinnern solltet.«
»Ja, aber …« Cazaril lächelte schwach und wies an sich hinunter. »Das hier ist mein Gepäck.«
Als er ihren gequälten Blick sah, fügte er entschuldigend hinzu: »Ich besaß noch weniger, als ich in Zagosur von der ibranischen Galeere kam.« Er war bekleidet gewesen mit einem Lendenschurz von unübertroffener Schmutzigkeit, und mit Schorf und Schweiß. Die Tempelbrüder hatten die Lumpen bei erster Gelegenheit verbrannt.
»Dann wird mein Page Euch auf Euer Gemach führen«, sagte die Herzogin mit sorgfältig kontrollierter Stimme und sah ihn immer noch unverwandt an. »Mein Herr Kastellan.«
Schließlich erhob sie sich, eiligst unterstützt von ihrer Gesellschaftsdame, und fügte hinzu: »Wir werden uns morgen noch einmal unterhalten.«
Das Gemach befand sich im alten Bergfried und war eine der Unterkünfte, die für gewöhnlich geehrten Gästen vorbehalten waren – weniger der großen Bequemlichkeit der Räumlichkeiten wegen als vielmehr auf Grund der Tatsache, dass in der Vergangenheit zahlreiche berühmte Herrscher in diesen Gemächern genächtigt hatten. Cazaril selbst hatte Hunderte Male die Gäste versorgt, die in den Gemächern logiert hatten. Das Bett hatte drei Matratzen, aus Stroh, Feder und Daunen, und war bezogen mit dem weichsten Leinen und einer Tagesdecke, die von den Damen des Haushalts gefertigt worden war. Bevor der Page ihn verließ, kamen noch zwei Dienstmädchen und brachten Wasser zum Waschen und zum Trinken, dazu Handtücher, Seife, ein Kauhölzchen sowie ein besticktes Nachthemd, eine Mütze und Pantoffeln. Cazaril hatte sich schon darauf eingestellt, im Untergewand des Toten zu übernachten.
Mit einem Mal war alles zu viel für ihn. Er sank auf die Bettkante, das Nachthemd in den Händen, und brach in haltloses Schluchzen aus. Nach Luft ringend bedeutete er den unsicher wirkenden Dienstboten zu gehen, wobei er Rotz und Wasser heulte.
»Was ist denn mit dem los?«, hörte er die Stimme eines Mädchens, während ihre Schritte sich den Gang hinunter entfernten.
Verärgert gab der Page zurück: »Ein Verrückter, nehme ich an.«
Nach einer kurzen Pause klang die Antwort des Dienstmädchens schwach an Cazarils Ohr: »Na, dann passt er ja gut hierher, meinst du nicht …?«
3
R
ufe aus dem Innenhof, das ferne Scheppern von Töpfen … die Geräusche des geschäftigen
Weitere Kostenlose Bücher