Chalions Fluch
war. Dy Sanda, bei dem inzwischen der Zorn die Furcht abgelöst hatte, nahm die Armbrust in Gewahrsam und trieb den missmutigen Teidez nach drinnen. Bevor die Tür hinter den beiden zuschlug, wurde Teidez’ Stimme bei einem letzten Wortwechsel hörbar: »Aber mir ist so langweilig …! «
Cazaril stieß ein Lachen aus. Bei den Göttern, was für ein schreckliches Alter für jeden Jungen! Voll Tatendrang und Energie, gequält von verständnislosen und willkürlichen Erwachsenen, die so viele dumme Ansichten hatten, aber niemals daran dachten, an einem schönen Frühjahrstag das Morgengebet auszulassen und auf Fuchsjagd zu gehen. Cazaril blickte zum Himmel, der sich allmählich blassblau färbte, während der Morgennebel verdunstete. Die Beschaulichkeit des Haushalts der Herzogin, ein Labsal für Cazarils Seele, war ohne Zweifel Gift für den armen, eingeengten Teidez.
Doch was auch immer der frisch angestellte Cazaril für Ratschläge beisteuern mochte – dy Sanda würde sie gewiss nicht mit Wohlwollen anhören, so wie die Dinge derzeit zwischen ihnen standen. Doch Cazaril hatte den Eindruck, dass dy Sanda genau das Falsche tat, wenn er seinen zukünftigen Einfluss auf den Prinzen sichern und für die Zeit vorsorgen wollte, da Teidez einen Besitz erhielt und dazu die Macht und Privilegien eines Fürsten von Chalion – wenn nicht noch mehr. Im Augenblick war es wahrscheinlicher, dass Teidez sich seiner bei erster Gelegenheit entledigen würde.
Dennoch musste Cazaril einräumen, dass dy Sanda ein gewissenhafter Mann war. Ein niederträchtigerer Mensch mit vergleichbaren Ambitionen hätte Teidez’ Gelüsten leicht nachgeben können, anstatt den Versuch zu unternehmen, sie zu beherrschen. Auf diese Weise hätte er vielleicht nicht die Treue des Jungen gewonnen, ihn aber von sich abhängig gemacht. Cazaril war schon einigen adligen Sprösslingen begegnet, die auf diese Weise von ihren Erziehern korrumpiert worden waren … aber nicht im Haushalt derer von dy Baocia! Solange die Herzogin hier das Sagen hatte, blieb es unwahrscheinlich, dass Teidez an solche Parasiten geriet. Mit dieser beruhigenden Einsicht stieß Cazaril sich von der Trittbank ab und richtete sich auf.
5
D
er 16. Geburtstag der Prinzessin Iselle fiel auf die Frühlingsmitte, ungefähr sechs Wochen nach Cazarils Ankunft in Valenda. Ihr Bruder Orico schickte ihr in diesem Jahr aus der Hauptstadt eine gescheckte graue Stute als Geburtstagsgeschenk. Dieser Einfall zeugte entweder von einer besonders glücklichen Hand oder von guter Planung, denn Iselle war beim Anblick des glänzenden Tieres außer sich vor Freude. Cazaril musste einräumen, dass es eine königliche Gabe war. Außerdem konnte er auf diese Weise noch einmal das Problem seiner immer noch schwerfälligen Handschrift umgehen: Iselle ließ sich leicht überreden, auf dieses Geschenk hin ein eigenhändiges Dankesschreiben zu verfassen und mit dem königlichen Kurier zurückzusenden.
Doch in den folgenden Tagen sah Cazaril sich seitens Iselle und Betriz minuziösen, um nicht zu sagen peinlichen Fragen nach seiner Gesundheit ausgesetzt. Kleine Portionen vom besten Obst und erlesensten Delikatessen wurden bei Tisch zu ihm durchgereicht, um seinen Appetit anzuregen. Man ermunterte ihn, zeitig zu Bett zu gehen und wenig Wein zu trinken. Beide Damen überredeten ihn zu regelmäßigen kurzen Spaziergängen im Garten. Erst als dy Ferrej in Cazarils Hörweite gegenüber der Herzogin einen bei läufigen Scherz machte, bekam Cazaril mit, dass I selle und ihre Zofe genötigt worden waren, bei ihren Ausritten die Geschwindigkeit aus Rücksicht auf die angegriffene Gesundheit ihres neuen Privatschreibers zu zügeln. Cazarils Verstand überholte seine Entrüstung gerade noch rechtzeitig genug, um diese Finte mit ernstem Gesicht und überzeugend steifem Gang zu unterstützen. Die weibliche Fürsorge der Mädchen, so offensichtlich eigennützig sie auch sein mochte, war zu reizend, um sie auszuschlagen. Und es fiel ihm auch gar nicht so schwer, sie anzunehmen.
Das zunehmend bessere Wetter wie auch – um die Wahrheit zu sagen – sein sich bessernder Zustand verlockten ihn schließlich zur Nachgiebigkeit. Die Hitze des Sommers stand bevor und würde bald ohnehin das Leben wieder ruhiger verlaufen lassen. Cazarils Sorge um die Sicherheit seiner Schülerinnen schwand, nachdem er hatte beobachten können, wie sie sich auf ihren Pferden hielten: Sie setzten über gefällte Baumstämme hinweg und
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