Chalions Fluch
Gewand und ergriff ein mit Leinentuch umwickeltes Päckchen. Dann geleitete er seine Schwester, Betriz und Cazaril durch das Schlosstor hinaus und durch die Gärten.
Auf dem Hof vor den Stallungen trafen sie auf Teidez’ morgendliche Jagdpartie, die sich gerade zum Ausritt sammelte. Teidez hatte um diese Unternehmung gebettelt, seit sie im Zangre eingetroffen waren. Wie es aussah, war Lord Dondo dem Wunsch des Knaben entgegengekommen, und nun führte er die Gruppe an, der noch ein halbes Dutzend andere Höflinge angehörten, ferner Knechte und Treiber, drei Paar Hunde und Ser dy Sanda. Teidez saß auf seinem schwarzen Ross und grüßte gut gelaunt seine Schwester sowie seinen königlichen Bruder.
»Lord Dondo sagt, dass es wahrscheinlich noch zu früh ist, um Wildschweine zu entdecken«, erzählte er ihnen. »Die Blätter sind noch nicht gefallen. Aber wir könnten auch Glück haben.« Teidez’ Reitknecht folgte auf einem eigenen Pferd; er war für alle Fälle mit einem reichhaltigen Arsenal an Waffen beladen. Auch die neue Armbrust und der Sauspieß waren dabei. Iselle, die offensichtlich nicht eingeladen war, schaute mit einigem Neid zu.
Dy Sanda lächelte zufrieden zu diesem edlen Vergnügen, soweit man bei ihm überhaupt von Lächeln reden konnte, als Dondo laut jauchzte und die Reiterschar im schnellen Trab aus dem Hof führte. Cazaril sah sie davonreiten. Sie boten einen malerischen Anblick vor diesem Herbstmorgen, und doch grübelte er darüber nach, was ihm an diesem Bild nicht gefiel. Dann fiel ihm auf, dass nicht einer der Männer um Teidez jünger war als dreißig. Keiner von ihnen folgte dem Jungen aus Freundschaft, oder auch nur in der Erwartung von Freundschaft. Sie alle waren nur aus Eigennutz dabei. Wenn irgendwelche dieser Höflinge ihre fünf Sinne beisammen hatten, befand Cazaril, sollten sie jetzt ihre Söhne an den Hof bringen und sie dort frei schalten und walten lassen und auf den natürlichen Lauf der Dinge hoffen. Eine Vorstellung, die sicherlich auch ihre eigenen Gefahren mit sich brachte, aber doch …
Schwerfällig umrundete Orico die Stallungen; die Damen und Cazaril folgten ihm. Hinter dem Stall fanden sie den Verwalter der Menagerie vor, Umegat, der offensichtlich schon vorgewarnt war und jetzt artig neben den Toren des Tierparks stand, die weit geöffnet waren für die Morgensonne und den sanften Wind. Er senkte sein Haupt mit der sorgsam geflochtenen Frisur vor seinem Herrn und dessen Gästen.
»Umegat«, teilte Orico seiner Schwester mit, was wohl eine Vorstellung sein sollte. »Kümmert sich hier um alles. Ein Roknari, ist aber trotzdem in Ordnung.«
Iselle unterdrückte ein sichtlich erschrockenes Zucken und neigte liebenswürdig den Kopf. In annehmbarem höfischem Roknari, wenn auch fälschlich in der grammatischen Form des Herrn gegen den Krieger anstelle des Herrn gegen den Untergebenen, grüßte sie ihn: »Möge der Segen der Erhabenen an diesem Tag auf Euch fallen, Umegat.«
Umegat schaute überrascht und verbeugte sich tiefer. Er erwiderte den Gruß: »Auch Euch wünsche ich den Segen der Erhabenen, M’Hendi.« Er sprach mit dem saubersten Akzent der Inseln und gebrauchte die höfliche grammatische Form des Sklaven gegen den Herrn.
Cazaril hob die Augenbrauen. Wie es schien, war Umegat doch kein Halbblut aus Chalion. Er fragte sich, welche verschlungenen Wechselspiele des Lebens den Roknari letztlich hierher verschlagen hatten. Mit wachsendem Interesse fragte er nach: »Du bist weit von zu Hause, Umegat.« Er benutzte die Form eines Dieners zu einem untergeordneten Diener.
Ein kleines Lächeln umspielte die Lippen des Tierpflegers. »Ihr habt ein aufmerksames Ohr, M’Hendi. Das findet man nicht häufig in Chalion.«
»Lord dy Cazaril unterrichtet mich«, warf Iselle ein.
»Dann seid Ihr gut beraten, Herrin. Aber …«, er wandte sich wieder Cazaril zu und wechselte die Form der Anrede. Nun sprach er als Sklave zum Gelehrten, eine Redeweise von noch feinerer Höflichkeit als die des Sklaven zu seinem Herrn: »Chalion ist inzwischen mein Zuhause, Eure Weisheit.«
»Lasst uns meiner Schwester die Tiere zeigen«, warf Orico ein. Der Austausch zweisprachiger Höflichkeiten langweilte ihn zusehends. Er hielt seine Leinenserviette in die Höhe und grinste verschwörerisch. »Ich habe eine Honigwabe für meine Bären vom Frühstückstisch mitgehen lassen, und wenn ich sie nicht bald loswerde, wird der Honig heraustropfen.«
Umegat erwiderte das Lächeln; dann führte
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