Chalions Fluch
überzuwechseln. Dann trug er ihn vor die Tore und warf ihn in die Luft. Die Krähe flatterte davon, wobei sie sich zu Cazarils Erleichterung mit ganz gewöhnlichen Krächzern begnügte.
Sie setzten ihren Weg zur Voliere fort, wo Iselle feststellte, dass sie unter den farbenfrohen kleinen Vögeln in den Käfigen ebenso beliebt war wie Cazaril bei seiner zerrupften Krähe. Sie sprangen ihr auf den Ärmel, und Umegat zeigte ihr, wie sie die Tiere dazu bringen konnte, Körner zwischen ihren Zähnen hervorzupicken.
Als Nächstes wandten sie sich den Vögeln auf den Sitzstangen zu. Betriz bewunderte ein großes Exemp lar in strahlendem Grün, mit gelben Brustfedern und einer rubinroten Kehle. Es klapperte mit seinem gedrungenen gelben Schnabel und streckte eine schmale, schwarze Zunge hervor.
»Das ist noch ein ziemlicher Neuankömmling«, erzählte Umegat. »Ich vermute, er hatte ein schwieriges und unstetes Leben. Er ist zahm genug, aber es hat Zeit und Zuwendung gebraucht, um ihn zu beruhigen.«
»Kann er sprechen?«, fragte Betriz.
»Ja«, entgegnete Umegat. »Aber er kennt nur Schimpfworte – auf Roknari, und das ist wohl ein Glück. Daher vermute ich, dass er zuvor einem Seemann gehörte. Graf dy Jironal brachte ihn in diesem Frühjahr als Kriegsbeute aus dem Norden mit.«
Berichte und Gerüchte von diesem ergebnislosen Feldzug hatten auch Valenda erreicht. Cazaril fragte sich, ob Umegat jemals eine Kriegsbeute gewesen war – wie er selbst – und ob das der Weg war, auf dem der Tierpfleger ursprünglich nach Chalion gelangt war. Trocken merkte er an: »Ein hübscher Vogel. Aber für meinen Geschmack ein dürftiger Gegenwert für drei Städte und einen verlorenen Gebirgspass.«
»Ich denke, Lord dy Jironal konnte eine ganze Menge mehr an beweglichen Gütern erhalten als diesen einen Vogel«, wandte Umegat ein. »Der Zug mit seiner Beute benötigte bei der Rückkehr nach Cardegoss mehr als eine Stunde, um durch die Tore zu marschieren.«
»Mit derart langsamen Maultieren hatte ich auch schon zu tun«, murmelte Cazaril unbeeindruckt. »Chalion hat bei diesem schlecht geplanten Unternehmen mehr verloren, als dy Jironal eingenommen hat.«
Iselle runzelte die Stirn. »War es kein Sieg?«
»Das kommt auf die Auslegung an. Schon seit Jahrzehnten gibt es in diesem Grenzgebiet ein stetes Hin und Her zwischen uns und den Fürstentümern der Roknari. Einst war es ein fruchtbares Land – inzwischen ist es eine Wüste. Obstgärten, Olivenhaine und Weinberge wurden niedergebrannt, die Gehöfte aufgegeben und das Vieh freigelassen, sodass es entweder verwilderte oder verhungerte. Es ist der Friede, der einem Land den Wohlstand bringt, nicht der Krieg! Der Krieg sorgt nur für eine Umverteilung der spärlichen Reste, vom Schwächeren auf den Stärkeren. Und schlimmer noch: Was mit Blut erkauft ist, wird gegen klingende Münze weitergehandelt und dann erneut zurückgestohlen.« Cazaril blickte trübsinnig vor sich hin, dann fügte er bitter hinzu: »Euer Großvater, König Fonsa, erkaufte die Festung Gotorget mit dem Leben seiner Söhne. Graf dy Jironal verkaufte sie für dreihunderttausend Royals. Es ist eine wundersame Transmutation, die das Blut des einen Mannes in das Geld eines anderen verwandelt. Blei in Gold ist nichts dagegen!«
»Kann es denn im Norden niemals Frieden geben?«, fragte Betriz, erschrocken über seine ungewohnte Heftigkeit.
Cazaril zuckte die Achseln. »Nicht solange der Krieg so gute Gewinne abwirft. Die Fürsten der Roknari treiben dasselbe Spiel. Es ist eine allgemeine Korruption.«
»Wenn wir den Krieg endgültig gewinnen würden, hätte er ein Ende«, bemerkte Iselle nachdenklich.
»Na, das wäre mal eine Vision«, seufzte Cazaril. »Wenn der König es seinen Edlen unterschieben könnte, ohne dass diese erkennen, dass sie damit ihren künftigen Lebensunterhalt verlieren … aber nein. Es ist unmöglich! Chalion allein kann nicht alle fünf Fürstentümer unterwerfen, und selbst wenn es durch irgendein Wunder gelingen würde, fehlt die Erfahrung zur See, um anschließend die Küsten zu halten. Würden alle quintarischen Königreiche ihre Kräfte vereinen und für eine ganze Generation mit äußerster Entschlossenheit zu Felde ziehen, könnte ein König von außergewöhnlicher Stärke und Willenskraft sich vielleicht durchsetzen und das Land vereinen. Doch das würde riesigen Mut erfordern und einen gewaltigen Zoll an Menschenleben und Geld.«
Bedächtig sagte Iselle: »Wäre dieser Zoll
Weitere Kostenlose Bücher