Chamäleon-Zauber
nach Hause geflogen, nachdem ich den Silberbaum entdeckt hatte. Ich war von dem Gedanken an diesen Reichtum so überwältigt, daß ich es nicht erwarten konnte. Ich habe es riskiert, im hohen Wind zu fliegen – und bin in die Schlucht geweht worden. Der Sturz war so heftig, daß ich in der Höhle gelandet bin, aber da war ich bereits tot.«
»Ich habe gar keine Knochen herumliegen sehen.«
»Du hast ja auch kein Loch im Boden gesehen. Das Erdreich hat mich bedeckt, und dann ist mein Körper von dem Fluß fortgespült
worden.«
»Aber…«
»Weißt du denn überhaupt nichts? Ein Schatten ist an den Ort
seines Todes gefesselt, nicht an seine Leiche.«
»Oh. Entschuldigung.«
»Ich bin dort geblieben, obwohl ich wußte, daß es hoffnungslos war.« Donald machte eine Pause. »Hör mal, du hast mir einen solch großen Dienst erwiesen, ich will das Silber mit dir teilen. An diesem Baum hängt genug für meine Familie und für dich. Du mußt mir nur versprechen, daß du niemandem verrätst, wo sich der Baum befindet.«
Einen Augenblick lang war Bink versucht, das Angebot anzunehmen, doch dann überlegte er es sich anders. »Ich brauche Magie, kein Silber. Ohne Magie werde ich aus Xanth verjagt und kann das Silber mit niemandem teilen. Mit Magie sind mir Reichtümer unwichtig. Wenn du es also mit jemandem teilen willst, dann teil es doch mit dem Baum. Nimm ihm nicht alle Blätter, sondern immer nur wenige auf einmal, und ein paar von den silbernen Eicheln, die herabfallen. Dann kann der Baum gesund bleiben und sich vielleicht regenerieren. Auf lange Sicht ist das sowieso einträglicher.«
»Das war ein Glückstag für mich, als du in meine Höhle gestürzt bist.« sagte Donald. Er flog eine Kurve und ging tiefer.
Als sie an Höhe verloren, knackten Binks Ohren erneut. Sie senkten sich in eine Waldlichtung, landeten und schritten eine halbe Meile weit auf ein alleinstehendes, heruntergekommenes Gehöft zu. Bink brauchte diese Bewegung auch; um die Krämpfe aus seinen Beinen endgültig zu vertreiben. »Ist es nicht schön?« fragte Donald.
Bink blickte auf den morschen Holzzaun und auf das eingesackte Dach. Ein paar Hühner scharrten im Unkraut. Doch für einen Menschen, dessen Liebe lange genug an diesem Ort hing, um ihn zwei Jahre nach seinem Tod noch durchhalten zu lassen, für den mußte es das schönste aller Gehöfte sein. »Hm«, machte er.
»Ich weiß, daß es nicht nach viel aussieht, aber nach dieser Höhle ist es der reinste Himmel«, fuhr Donald fort. »Meine Frau und mein Junge besitzen natürlich ebenfalls magische Kräfte, aber es genügt nicht. Sie kuriert Hühner, denen die Federn ausfallen, und er macht kleine Windhosen. Sie verdient gerade genug, daß sie nicht verhungern müssen. Aber sie ist eine gute Frau und über alle Maßen schön.«
Nun traten sie in den Hof. Ein siebenjähriger Junge blickte von dem Bild hoch, das er in den Staub gezeichnet hatte. Er erinnerte Bink an den Werwolfjungen, den er vor kurzem verlassen hatte – war das wirklich erst sechs Stunden her? Aber dieser Eindruck verflüchtigte sich, als der Junge den Mund öffnete. »Hau ab!« brüllte er.
»Ist wohl besser, wenn ich es ihm nicht sage«, meinte Donald ein wenig enttäuscht. »Zwei Jahre – das ist eine lange Zeit in diesem Alter. Er erkennt diesen Körper nicht. Aber sieh mal, wie groß er geworden ist!«
Sie klopften an die Tür. Eine Frau machte auf: Sie trug ein einfaches, abgetragenes Kleid, das Haar hatte sie unter einem schmutzigen Tuch zurückgebunden. Selbst in ihren besten Zeiten
hatte sie wohl allenfalls durchschnittlich gut ausgesehen, aber nun war sie von der harten Arbeit frühzeitig gealtert.
Sie hat sich kein bißchen verändert, dachte Donald bewundernd. Dann sagte er laut: »Sally!«
Die Frau starrte ihn mit verständnisloser Feindseligkeit an.
»Sally – erkennst du mich denn nicht? Ich bin von den Toten zurückgekehrt, um meine Angelegenheiten zu erledigen.«
»Don!« rief sie, und ihre Augen begannen zu leuchten.
Dann legte sich Binks Arm um sie, und seine Lippen küßten die ihren. Er sah sie mit Donalds überwältigenden Gefühlen, und da wirkte sie gut und schön – über alle Maßen.
Donald löste sich wieder von ihr und blickte die Schönheit ihrer Liebe an, als er sprach. »Merk dir das, Liebling: Dreizehn Meilen nordöstlich von dem kleinen Mühlteich befindet sich neben einer scharfen Klippe, die von Osten nach Westen führt, ein Silberbaum. Geh hin und ernte ihn – immer
Weitere Kostenlose Bücher