Chamäleon-Zauber
sie ohnehin schon waren. Es hieß zwar, daß man einem geschenkten Einhorn nicht ins Maul schauen sollte, weil es sich sonst vielleicht als verzaubert herausstellen könnte, aber Bink schaute immer genau hin.
Er kniete vor dem Quell nieder und starrte angestrengt hinein. Sozusagen dem Einhorn ins Maul. »O Quell des Lebens«, murmelte er. »Ich bin um der Barmherzigkeit willen gekommen. Ich suche nicht den eigenen Vorteil, obwohl auch ich reich beschert worden bin. Ich beschwöre dich, mir zu verraten, wie ich mich verhalten muß, um nicht versehentlich Fehler zu begehen.« Er hatte nicht besonders viel Vertrauen in seine förmliche Beschwörung, da er keinerlei Magie besaß, mit der er ihr hätte Nachdruck verleihen können, aber es war eben alles, was ihm dazu einfiel. Er konnte nicht einfach ein solch wunderbares Geschenk annehmen, ohne zu versuchen, herauszufinden, wie hoch der Preis war, den man dafür zahlen mußte. Es gab immer einen Preis.
Tief im Quellwasser wirbelte irgend etwas herum. Bink spürte seine magische Kraft. Es war, als würde er durch ein Loch in eine andere Welt lugen. O ja, dieser Quell hatte eigenes Bewußtsein und Stolz! Das Feld seiner Seele stieg empor, um ihn zu umhüllen, und sein Bewußtsein stürzte in die Tiefe hinein und verstand. Wer von mir trinkt, der darf nicht wider mich handeln, sonst verliert er alles, was ich ihm beschert habe.
Oh! Das war ein Selbsterhaltungszauber, das war völlig klar und einfach formuliert. Aber enorm schwierig zu befolgen. Wer entschied denn, was wider die Interessen des Quells war? Wer, außer dem Quell selbst? Es würde in diesem Gebiet offensichtlich kein Holzfällen geben, denn das würde der Umweltschaden und den Niederschlag und das Klima beeinflussen. Bergbau kam auch nicht in Frage, denn der konnte den Grundwasserspiegel senken und den Quell verschmutzen. Selbst das Verbot der Weitervermittlung der Grundprinzipien des Quells ergab einen Sinn, denn auf diese Weise wurde möglicherweise verhindert, daß sich Leute mit kleineren Beschwerden behandeln ließen, wenn sie den Preis im voraus erfuhren. Die Holzfäller und Bergarbeiter würden das Wasser auf jeden Fall meiden. Doch alles, was man tat, zog kleinere und größere Kreise, wie die Ringe, die dabei entstanden, wenn man einen Stein in eine Pfütze warf. Irgendwann wurden diese Kreise schließlich so groß wie ein Ozean. Oder so groß wie Xanth…
Angenommen, der Quell entschied, daß das Tun des fernen Königs von Xanth gegen seine Interessen verstieß, etwa wenn er eine Steuer auf Holz erhob, die die Holzfäller dazu zwang, mehr Bäume zu fällen, um sie bezahlen zu können. Würde der Quell dann alle seine Benutzer dazu zwingen, sich gegen den König zu stellen oder ihn womöglich umzubringen? Jemand, der dem Quell sein Leben verdankte, war sicherlich zu so etwas in der Lage. Theoretisch war es diesem Quell möglich, die gesamte Gesellschaft Xanths zu verändern, ja sogar zu ihrem De-facto -Herrscher zu werden. Doch die Interessen eines einzelnen Quells waren nicht unbedingt auch die der menschlichen Gesellschaft. Wahrscheinlich konnte die Magie des Quells nicht so weit gehen, denn dazu hätte sie ebenso stark sein müssen wie alle Kräfte der Lebewesen von Xanth zusammen. Doch nach und nach würde sie schon Wirkung zeigten. Und damit wurde es zu einer Frage der Ethik.
»Ich kann deine Bedingung nicht akzeptieren«, sagte Bink in den tiefen Strudel hinein. »Ich bin dir nicht feindlich gesonnen, aber ich kann mich auch nicht dazu verpflichten, lediglich zu deinen Gunsten zu handeln. Die Interessen von Xanth stehen höher als deine. Nimm deinen Segen wieder von mir. Ich werde meines Weges ziehen.«
Jetzt war der Quell zornig. Seine tiefsten Tiefen waren aufgewühlt. Wieder stieg das magische Kraftfeld empor und umhüllte ihn. Er sollte die Konsequenz für seine Verwegenheit tragen.
Doch dann verzog sich alles wieder wie ein Sturm – und er war immer noch ganz. Sein Finger blieb geheilt und auch seine Erkältung kehrte nicht wieder. Er hatte den Quell herausgefordert, sich seinem Bluff gestellt und gewonnen.
Wirklich?
Vielleicht würde der Nutzen, den er aus dem Wasser gezogen hatte, erst rückgängig gemacht, wenn er ausdrücklich gegen die
Interessen des Quells verstieß. Na ja, das würde er auch noch verkraften. Jedenfalls würde ihn das nicht daran hindern, das zu tun, was er für richtig hielt.
Bink erhob sich und hielt das Schwert in einer Hand, während er mit der anderen
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