Chamäleon-Zauber
konnte ein paar der säuberlichen Löcher schon überleben, aber ein Mensch konnte daran verbluten, sofern er nicht an der Verletzung irgendeines lebenswichtigen Organs zugrunde ging. Schon der bloße Gedanke daran ließ Bink erschauern. Er hoffte, daß sich die Zappler nie wieder in Xanth ausbreiten würden, aber das war keineswegs sicher. Wenn es um Magie ging, war nichts wirklich sicher.
Nervös schritt er in beschleunigtem Tempo weiter. Eine halbe Stunde später erreichte er die Spalte – und tatsächlich, da war auch die unmögliche Brücke, von der der Gute Magier ihm erzählt hatte. Er überzeugte sich von ihrer Existenz, indem er eine Handvoll Erde nahm und beobachtete, wie sie in die Tiefe fiel. An einer Seite wurde sie abgelenkt. Wenn er das auf dem Hinweg gewußt hätte… Aber das war es ja schließlich, was es mit dem Informiertsein auf sich hatte; ohne Wissen konnte man enorme Schwierigkeiten bekommen. Wer hätte denn gedacht, daß es hier eine unsichtbare Brücke gab?
Und doch war sein langer Umweg kein reiner Zeitverlust gewesen. Er hatte an dem Vergewaltigungsprozeß teilgenommen, dem Schatten geholfen, einige phantastische Illusionen erlebt, Crombie, den Soldaten, gerettet und auch so recht viel über Xanth erfahren. Er wollte es zwar nicht alles noch einmal erleben müssen, aber durch die Erfahrung war er doch reifer geworden. Er trat auf die Brücke. Der Magier hatte ihn gewarnt: Sie hatte einen Haken. Wenn er sich einmal auf den Weg zur anderen Seite gemacht hatte, durfte er sich nicht mehr umdrehen, sonst würde sich die Brücke auflösen, und er fiele in den Abgrund hinunter. Es war eine Einbahnstraße, die nur nach vorne führte. Also schritt er kühn über den Abgrund hinaus, der unter ihm gähnte, und ergriff ein unsichtbares Geländer.
Er wagte es allerdings, einmal hinabzublicken. Der Boden des Abgrunds hier war sehr schmal, eher eine Ritze als ein Tal. Hier konnte der Spaltendrache nicht herumlaufen. Aber es schien keinerlei Möglichkeit zu geben, den steilen Abhang zu erklimmen. Wenn man von dem Sturz nicht getötet wurde, dann würde man verhungern. Es sei denn, man schaffte es, in Richtung Osten oder Westen zu klettern – wo einen dann der Spaltendrache erwartete.
Bink schaffte es zur anderen Seite.
Alles, was man dazu brauchte, waren Wissen und Selbstvertrauen. Als er wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte, blickte er sich um. Von der Brücke war nichts zu sehen, und nichts wies darauf hin, wie man sie betreten konnte. Aber er wollte
nicht noch einmal eine Überquerung riskieren. Die Angespanntheit hatte ihn durstig gemacht. Er entdeckte eine Quelle neben dem Pfad. Neben dem Pfad? Gerade hatte es doch noch keinen Pfad hier gegeben! Er blickte zur Spalte zurück. Dort war kein Pfad. Oh! Er führte also nur von der Brücke fort, nicht auf sie zu! Die übliche Einbahnmagie. Er ging auf die Quelle zu. Er hatte zwar Wasser in seiner Feldflasche, aber das stammte vom Quell des Lebens. Das wollte er sich für einen etwaigen späteren Notfall aufheben.
Von der Quelle floß ein kleines Rinnsal in einem gewundenen Kanal in den Abgrund hinunter. Der Kanal war dicht mit seltsamen Pflanzen überwuchert, die Bink noch nie gesehen hatte: ein Erdbeerausläufer mit Bucheckern und Farne mit Laubblättern. Sie waren zwar merkwürdig, stellten jedoch keine Bedrohung dar. Bink blickte sich sorgfältig um, um etwaige Raubtiere ausfindig zu machen, die vielleicht neben einem Wasserloch lauern mochten, dann legte er sich auf den Boden, um zu trinken.
Als er den Kopf senkte, hörte er ein Flöten über sich. »Das wird dir leiiiiiiid tun!« schien es zu sagen.
Er blickte zu den Bäumen hoch. Dort hockte ein vogelähnliches Wesen, wahrscheinlich eine Harpyienart. Es hatte üppige Frauenbrüste und einen aufgerollten Schlangenschwanz. Nichts, was ihm Sorgen machen mußte, solange sie sich fernhielt.
Er neigte erneut den Kopf, da hörte er ein viel zu nahes Rascheln. Er sprang auf und zückte sein Messer, lief einige Schritte zur Seite und entdeckte etwas Unglaubliches, als er durch das Geäst der Bäume spähte. Zwei Wesen kämpften da miteinander: ein Greif und ein Einhorn. Das eine war männlich, das andere weiblich, und sie… sie kämpften ja gar nicht, sie…
Bink zog sich peinlich berührt zurück. Es waren doch zwei voneinander völlig verschiedene Arten! Wie konnten sie nur!
Angewidert kehrte er zu der Quelle zurück. Jetzt entdeckte er auch die frischen Spuren der beiden Wesen.
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