Chamäleon-Zauber
Sowohl das Einhorn als auch der Greif waren vor kaum einer Stunde
hierhergekommen, um zu trinken. Vielleicht hatten sie wie er die unsichtbare Brücke überquert und die Quelle erblickt, die so günstig und einladend hier floß. Also konnte das Wasser kaum vergiftet sein…
Plötzlich mußte er lachen. Das war ja eine Liebesquelle!
Jeder, der von dem Wasser trank, verliebte sich Hals über Kopf in das erste Wesen, das ihm danach begegnete, und dann…
Er blickte zu dem Einhorn und dem Greif hinüber. Sie waren immer noch unersättlich bei der Sache.
Er trat zurück. Wenn er davon getrunken hätte…
Er erschauerte. Jetzt war er nicht mehr im geringsten durstig.
»Och, trink doch ein Schlückchen!« flötete die Harpyie.
Bink hob einen Stein auf und schleuderte ihn nach ihr. Sie krächzte laut, flatterte empor und lachte derb. Sie ließ etwas fallen und verfehlte ihn nur knapp. Es gab nichts Widerlicheres als eine Harpyie.
Na ja, der Gute Magier hatte ihm ja gesagt, daß der Heimweg nicht völlig frei von Problemen war. Diese Quelle mußte zu den Einzelheiten gehören, die Humfrey für unwichtig gehalten hatte. Wenn Bink erst einmal auf seinem alten Pfad war, dann hatte er es nur mit Gefahren zu tun, die er schon kannte, wie etwa die Friedenspinien…
Wie würde er die nur überleben? Er mußte mit einem Feind zusammen reisen, aber er hatte doch gar keinen!
Dann kam ihm ein großartiger Einfall. »He du – du Vogelhirn!« rief er zu der Baumkrone hoch. »Laß mich in Frieden, oder ich stopf dir deinen Schwanz in dein dreckiges Maul!«
Die Harpyie antwortete mit einem vernichtenden Schwall von Schimpfworten. Was sie doch für einen Wortschatz hatte! Bink warf noch einen Stein nach ihr. »Ich warne dich im Guten – flieg mir bloß nicht nach!« rief er.
»Bis an den Rand des Schilds werde ich dich verfolgen!« schrillte sie. »Mich wirst du nie los!«
Bink lächelte in sich hinein. Jetzt hatte er eine geeignete Begleiterin.
Er schritt weiter, und ab und zu mußte er den Kotspritzern ausweichen, mit denen sie ihn zu bombardieren versuchte. Er hoffte, daß ihre Wut so lange vorhielt, bis sie den Pinienwald durchquert hatten. Danach… na ja, alles schön der Reihe nach!
Bald kam er auf den Weg, den er bei seiner Hinreise entlanggeschritten war, und neugierig stellte er fest, daß der in beiden Richtungen, nach Norden und nach Süden, sichtbar war. Er blickte den Pfad zurück, den er gekommen war, doch er sah nur dichten Wald. Er machte einen Schritt zurück – und stand bis an die Knie in Glühwurzeln. Das Unkraut sprühte Funken, als es seine Beine umschlang, und es gelang ihm nur mit äußerster Mühe, sich unverletzt wieder davon freizumachen. Die Harpyie lachte so heftig, daß sie dabei fast von dem Ast gefallen wäre, auf dem sie hockte.
In dieser Richtung gab es einfach keinen Weg. Doch sobald er sich umdrehte, sah er, wie er durch die Wurzeln auf den Hauptpfad zuführte. Ach, warum wollte er diese Dinge eigentlich immer hinterfragen? Magie war eben Magie, sie unterlag nur ihren eigenen Gesetzen. Jeder wußte das. Jeder, nur er nicht immer.
Er ging den ganzen Tag weiter und kam an dem Bach vorbei, der jeden Trinkenden in einen Fisch verwandelte. »Trink doch ein Schlückchen, Harpyie!« rief er, doch sie kannte den Zauber schon und beschimpfte ihn noch heftiger. Die Friedenspinien – »Mach doch mal ein Nickerchen, Harpyie!« – und der Graben mit den Nickelfüßlern – »Ich hol’ dir einen Happen zu essen, Harpyie!« – doch in Wirklichkeit benutzte er das Gegenmittel, das ihm der Gute Magier gegeben hatte und erblickte keinen einzigen Nickelfüßler.
Schließlich hielt er an einem Gehöft im Zentaurengebiet an, um über Nacht zu bleiben. Die Harpyie gab ihre Verfolgungsjagd schließlich auf, weil sie nicht in Reichweite eines Zentaurenbogens zu geraten wagte. Es waren ältere Zentauren, die nicht aggressiv
waren und sich für jede Neuigkeit interessierten. Sie lauschten eifrig seinem Bericht über das, was ihm jenseits der Spalte widerfahren war, und schienen sich damit zufriedenzugeben, denn sie gewährten ihm im Gegenzug Kost und Logis. Ihr Enkelfohlen war auch dabei, ein aufgekratztes kleines Wesen von kaum fünfundzwanzig Jahren. Es war so alt wie Bink, aber auf menschliches Alter umgerechnet entsprach das allenfalls einem Viertel davon. Bink spielte mit ihm und machte einen Handstand für ihn. Das war etwas, was kein Zentaur konnte, und das Fohlen war auch entsprechend
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