Champagner-Fonds
äußern fiel ihr schwer.
»Werden Sie etwas unternehmen, um Michael zu finden?«, fragte sie zaghaft und leise, sehr darauf bedacht, dass am Nebentisch niemand zuhörte. Philipp betrachtete es geradezu als ein Wunder, dass sie bereit war, mit ihnen zu reden. »Die Polizei sucht nicht mehr nach ihm«, fuhr sie fort, »ich glaube, sie hat noch gar nicht gesucht. Die Menschen, die verschwinden, werden in irgendwelche Listen eingetragen, und damit hat es sich.«
Irene hatte nicht die geringste Vorstellung, weshalb Michael Müller abgetaucht war, wohin er gefahren sein könnte oder wo er sich gegenwärtig aufhielt. Von möglichen Freunden oder Verbindungen nach Frankreich wusste sie nichts. Von Villers-Allerand hatte sie genauso wenig gehört wie von einem Champagner-Fonds. Auch den Namen Touraine habe er nie genannt. Mit seinen Eltern sei der Umgang kompliziert, es seien Leute, die zurückgezogen in einer Doppelhaushälfte in Köln-Lövenich lebten. Der Vater arbeite bei Ford, die Mutter hielt das Haus in Ordnung und hätte sich am Schicksal ihres Sohns wenig interessiert gezeigt und sogar während ihres letzten Besuchs dauernd in billigen Frauenzeitschriften geblättert. Alle Umstände des Verschwindens, dass sein Wagen zum Beispiel mit einem extrem hohen Kilometerstand gefunden worden sei, und das bei jemandem, der nur wenige Kilometer vom Arbeitsplatz entfernt gewohnt habe, dass weder ein Koffer noch eine Reisetasche in seiner Wohnung fehle, geschweige denn Kleidungsstücke aus seinem Schrank, soweit sie das nach der kurzen Zeit ihrer Beziehung beurteilen könne, hätten die Eltern überhaupt nicht interessiert. Irene hatte den Eindruck, dass die Mutter das Verschwinden Michaels verdränge.
»›Ach, Kind, er kommt wieder, bestimmt, wart’s ab‹, hat sie immer zu mir gesagt.«
»Und der Vater, kümmert der sich nicht darum, hat er nichts unternommen?«
»Er hat die Wohnung gerade aufgelöst, er hat alles zu sich nach Hause geschafft, um es aufzuheben. Ich glaube, er ist an Michaels Sachen mehr interessiert als an ihm. Er scheint sich mit dem Verschwinden abgefunden zu haben. Er redet immer nur von dem, was er hat, dabei besitzt er nichts – bis auf dieses Haus, dahinter ein Stück Rasen und ein altes Auto.«
»Was hat er mit dem Champagner gemacht, von dem du mir erzählt hast«, fragte Thomas. »Weißt du, welche Marken es waren?«
»Nein, davon verstehe ich nichts.«
»Haben Sie mal mit ihm Champagner getrunken?«, fragte Philipp weiter, denn er wusste, dass viele, wurden sie nach Champagnermarken gefragt, nur die ohnehin bekannten nannten.
»Nein, nie, aber ich hätte es gern. Als ich mal eine Flasche aufmachen wollte, ist er fuchsteufelswild geworden und hat mich angeschnauzt, ich solle die Finger davon lassen.«
»Und wie haben Sie reagiert?«
»Ich habe ihn gefragt, wozu der denn da ist, wenn nicht zum Trinken.« Wieder schwieg sie. Philipp musste geduldig die nächste Frage stellen.
»Was hat er geantwortet?«
»Ich solle mich um meine Angelegenheiten kümmern. Das seien Muster – er hat diese Flaschen immer angesehen, als würde er sich darüber freuen. Ich habe mal jemanden gesehen, einen Maler in einem Film, der hat ein Bild gemalt, der hat genauso geguckt, als es fertig war. Ich glaube, der Film hieß ›Das Mädchen mit dem Perlenohrring‹. Ich habe ihn mit Michael gesehen.«
»Das war der Film über Vermeer«, glaubte Thomas zu wissen, und Irene stimmte ihm zu.
»Nach einer Weile hat Michael behauptet, die Flaschenseien Andenken. Ich habe das nicht verstanden und auch nicht weiter gefragt. Ich wollte nicht, dass er sich wieder aufregt.«
»Und da waren keine zwei gleichen Flaschen dabei?«
»Nein. Ich habe jedenfalls keine gesehen.«
»Glaubst du, Michaels Eltern würden uns den Champagner zeigen?«
Irene schüttelte den Kopf. »Wozu das, Thomas?«
»Und wenn Sie mitkämen, also Sie und ich, oder Sie mit Thomas?« Philipp sah da eine Chance.
Sie sah ihn skeptisch an, dann entspannte sie sich. »Gut. Versuchen wir’s. Wenn Thomas mitkommt, könnte es klappen. Er kann sich ja als Kollege ausgeben. Und Sie versuchen wirklich, Michael zu finden?« Irene blickte ungläubig von einem zum anderen. Es sah nicht so aus, als würde sie ihnen das glauben, aber sie war zu ängstlich, es ihnen ins Gesicht zu sagen. Und sie schien auch jede Hoffnung aufgegeben zu haben, ihren Exfreund je wiederzufinden.
Nach zehn Minuten hatten sie das Haus wieder verlassen. Die Verabschiedung vor dem
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