Champagner-Fonds
vor dem Spiegel und starrte sich mit offenem Mund an, als hätte er ein wahres Gegenüber vor sich. Eine Fälschung! Nein, das hielt er nicht für möglich, er hatte die Rechnungen gesehen. Außerdem würde kein Produzent dabei mitmachen, seine Etiketten, Korken, Kapseln und die Agraffe irgendwelchen Fälschern zur Verfügung zu stellen und sich damit zu ruinieren. Wenn irgendwo eine Fälschung auftauchte, würden sich alle darauf stürzen und den Markt nach Kopien durchkämmen.
Er überlegte, ob er ein Aftershave verwenden sollte, er hatte einen winzigen Flacon dabei – doch er benutzte es nur, wenn die Rasur zu rau gewesen war. Mach dich nicht lächerlich, sagte er sich, du gehst zu einem Geschäftsessen, weiter ist es nichts, aber er wusste, dass es mehr sein würde.
Sie blieb nicht oben auf dem Treppenabsatz stehen, sondern kam ihm ein Stück entgegen. »Ich freue mich ganz besonders, dass Sie gekommen sind, Monsieur Philippe, dass Sie die Zeit fanden, wo Sie nur so kurz bei uns verweilen.« Madame Dillon-Lescure lächelte, als hätte sie nur ihn eingeladen, und Philipp beugte sich zum angedeuteten Kuss über ihre Hand.
»Sie wissen, was uns Frauen gefällt?!« Es klang wie eine Aussage und war gleichzeitig eine Frage. Als er sich aufrichtete und sie anschaute, holte sie genauso tief Luft wie er. Oje, wie soll das werden, fragte sich Philipp, als er ihr die Treppe hinauf und dann ins Empfangszimmer mit den Empire-Möbeln folgte, wo die Champagnergläser neben den Sektkühlern warteten. Wie soll ich den Abend überstehen? Philipp sah sich suchend um. »Und die anderen Herren, Ihre Importeure?«
»Ich erwarte sie erst in einer Stunde, sie besuchen ein Seminar für Verkaufsstrategen. Zwei von ihnen bringen auch ihre Damen mit. Weshalb sind Sie nicht dort – ach, wie dumm von mir, Sie sind nicht der Verkäufer. Sie sind der Einkäufer. Die unangenehme Arbeit überlassen Sie anderen?«
»Sie meinen, das Problem sei nicht, guten Champagner zu machen, es sei vielmehr, ihn zu verkaufen?«
Madame, wie er sie an diesem Abend nennen wollte, nicht Louise, wie sie in seinen Gedanken bereits hieß, zögerte mit der Antwort. »Es wird viel von uns verlangt, zu viel, besonders von kleinen Produzenten. Deshalb verkaufen viele an die Konzerne. Nur was wird dann aus der Champagne?«
»Das, was der Rest der Welt auch ist, ein Tummelplatz für Großkonzerne, dazwischen einige Freizeitparks mit Blumenkübeln ...«
»Sie sind doch sonst kein Zyniker? Also tun wir was dagegen. Es ist leichter, nur Trauben zu produzieren und sie zu verkaufen. Die Preise sind hoch, an die sechs Euro auf den Premier-Cru-Lagen, Grand-Cru-Trauben werden bei 6,20 gehandelt. Bei unserer Art der vorsichtigen Pressung brauchen wir etwa 1,2 Kilo Trauben für die Flasche. Das heißt, 7,50 Euro kostet uns der Rohstoff, wenn wir nicht selbst anbauen würden, die Hälfte unseres Bedarfs kaufen wir allerdings hinzu. Aus Trauben Wein zu machen und ihn an uns zu verkaufen ist nicht so teuer. Aber ihn danach zu lagern, die Tanks dafür bereitzustellen, die Entscheidungen über die Zusammensetzung der Cuvée zu treffen, die Verkaufsorganisationaufzubauen, die Verkäufer zu schulen, sie bei Laune halten ...«
»Sie sprechen von Ihren Sorgen, Madame?«
Sie blickte zur Seite, er folgte ihren Augen, und ihre Blicke trafen sich irgendwo im Spiegel. Sie ist eine verdammt schöne Frau, sagte sich Philipp, als er sie neben sich stehen sah, sie waren ein schönes Paar ...
»Nein. Ich spreche von meinem Alltag ...«
11
Die Importeure trafen gleichzeitig ein. Die Männer waren jünger als Philipp, ihre Frauen wiederum jünger als Madame Dillon-Lescure. Sie machte Philipp mit allen bekannt und stellte ihn in seiner Funktion als Einkäufer des Hauses France-Import in Köln und als Champagnerexperten vor. Ein gemeinsames Thema ergab sich sofort: Wer war in diesem Jahr auf der Düsseldorfer Weinmesse gewesen, wer hatte wen dort getroffen und welche neuen Weine und Champagner waren entdeckt worden. Als die Abendgesellschaft zum Empfangszimmer geführt wurde, kam ihnen durch die Flügeltür eine Mitarbeiterin mit einem Servierwagen entgegen, darauf diverse Sektkühler, darin alle im Hause verfügbaren Champagnermarken und -jahrgänge auf Eis – es war ein beeindruckendes Arrangement.
Madame beugte sich zu Philipp in einem Moment, in dem sich die Aufmerksamkeit dem Einkäufer aus Großbritannien zuwandte, ihre Fingerspitzen berührten seine Schulter.
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