Champagnerkuesschen
gegenüberzusitzen, treibt es mir die Schamesröte ins Gesicht, und mein Magen macht nervöse Hüpfer. Mein peinlicher Auftritt ist bestimmt schon in aller Munde. Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken. Ich kann nur hoffen, dass die anwesenden Partygäste genauso betrunken waren wie ich und nun an spontaner Amnesie leiden und sich an nichts erinnern können. Am besten, ich nehme mir den heutigen Tag frei ...
Eine Art Urschrei reißt mich aus meinen Gedanken und lässt meinen Puls höher schnellen.
„Mist!“ Es poltert, und ein paar Sekunden später kommt Benni ins Badezimmer gestürmt.
„Guten Morgen, Tige ...“ Weiter komme ich nicht.
„Warum hast du mich nicht geweckt, anstatt dich in aller Seelenruhe fertig zu machen?“, blafft mich Benni von der Seite an.
„Ich habe es versucht, aber du hast so süß im Schlaf ausgesehen ...“
„Mensch, Julia, du weißt doch, dass ich um acht im Büro sein muss.“ Er schnaubt wütend.
Manchmal kann Benni ein richtiger Idiot sein! Aber ich bin ja eine liebende Frau, also werde ich gute Miene zum bösen Spiel machen und versuchen, die Wogen zu glätten.
„Hast du denn gut geschlafen?“, säusele ich in einer Tonlage, die mir nur zueigen ist, wenn ich in die typische Weibchenrolle verfalle. Die Rolle, bei der man als Frau Kulleraugen macht, den Rücken durchdrückt, damit die Brüste besser aussehen, und den Mund leicht geöffnet hält.
„Geht so“, brummt es aus der Dusche.
„Möchtest du einen Kaffee?“, starte ich einen weiteren Versuch.
„Wenn du mich rechtzeitig geweckt hättest, hätte ich einen Kaffee mit dir trinken können. Jetzt muss ich mich beeilen!“ Durch die Duschwand kann ich sehen, wie sich Benni am Po kratzt. Das ist der Nachteil, wenn man zusammenwohnt oder, wie in unserem Fall, häufig bei dem anderen übernachtet. Es kommt eine Form der Vertrautheit auf, die nicht immer schön ist.
Benni kommt aus der Dusche. Mit seinen verstrubbelten Haaren sieht er einfach zum Anbeißen aus. Benni setzt sich auf den Badewannenrand und rubbelt seine Haare mit einem Handtuch trocken. Dabei hält er es nicht für nötig, sich wenigstens ein Handtuch um die Hüften zu schlingen. Das ist eine Eigenschaft, die er mit vielen seiner Geschlechtsgenossen gemeinsam hat. Männer haben ein völlig natürliches Verhältnis zu ihrem Körper. In dieser Hinsicht halte ich es lieber mit den Vampiren, ich bedecke meinen Körper, sobald grelles Licht auf ihn treffen könnte. Es reicht, wenn einer meine körperlichen Defizite kennt, und das bin ich.
Benni sagt kein Wort, aber sein Gesicht spricht Bände. Benjamin Wagner ist genervt, und zwar wegen mir! Dabei finde ich, dass er eigentlich kein Recht dazu hat. Schließlich habe ich versucht, ihn zu wecken – okay, vielleicht nicht mit vollem Einsatz –, aber das kann man mir nicht zum Vorwurf machen.
„Ich finde, du könntest ruhig netter zu mir sein, schließlich hatte ich gestern Geburtstag“, schmolle ich.
Benni sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Julchen, das meinst du nicht ernst, oder?“
„Wieso?“
„Du kannst doch nicht deinen Geburtstag von gestern anbringen, damit ich nett zu dir bin. Ich meine, da kannst du gleich mit Weihnachten kommen. Außerdem bin ich immer nett zu dir.“ Missmutig quetscht er die Zahnpasta aus der Tube.
Das ist wieder mal typisch Mann – alles von der logischen Seite betrachten. Hier geht es um verletzte Gefühle, um die Nachwehen meines dreißigsten Geburtstags. Das lässt sich nicht einfach mit Logik wegwischen!
„Aber im Moment bist du ganz schön doof“, entgegne ich.
Benni hält beim Zähneputzen inne. „Ischbinzuspät“, nuschelt er und Zahnpastaschaum quillt aus seinem Mund.
Meine Güte, der Mann kann aber beharrlich sein. Es ist jetzt kurz vor acht. Spätestens um halb neun ist er im Büro. Wegen einer halben Stunde so ein Theater zu machen!
Benni hastet ins Schlafzimmer, während ich meine Klamotten von gestern Nacht vom Boden einsammele, die zugegebenermaßen ziemlich dürftig ausgefallen sind.
Fünf Minuten später steht Benni in Anzug und Krawatte vor mir. Manchmal vermisse ich den alten Benni. Den Benni, der in Jeans und T-Shirt im Zug vor mir gestanden ist und dem ich auf die Chucks gekotzt habe. Das klingt wie ein Witz, ist es aber nicht. Aber das bin ich gewohnt.
Ich sorge mit meinen spontanen Missgeschicken immer für Gesprächsstoff bei meinen Freunden. Was für andere Menschen witzig erscheinen mag, ist für mich einfach nur
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