Champagnernaechte sind gefaehrlich
lassen, bis sie schließlich akzeptieren konnte, daß ihre Eltern nie mehr zu ihr zurückkommen würden.
Für ein paar Sekunden bildeten die Echos jener Tränen einen Kloß in Susans Kehle. Behutsam legte sie die Scherbe wieder an ihren mit Samt ausgekleideten Platz. Wenn sie jetzt an jenen Tag dachte, erkannte sie, daß ihre Liebe zu Scott damals begonnen haben mußte, die erste Liebe eines Mädchens, das sich allmählich zur Frau entwickelte. Und die alte Tonscherbe symbolisierte dieses tiefe Gefühl, das genauso ein Teil von Susan war wie ihr Atem.
Bei der Erkenntnis dieser Tatsache konnte sie erst so richtig ermessen, welch ein Fehler es gewesen war, auf die Ranch zurückzukehren. Es gab keine Schulmädchenschwärmerei, die sich durch die Banalitäten alltäglicher Kontakte überwinden ließe. Was sie für Scott empfand, war die tiefe, grenzenlose Liebe einer erwachsenen Frau. Und die konnte sie nicht aus ihrem Herzen verbannen. Leichter wäre es, sich die rechte Hand abzuhacken.
Mit zitternden Fingern stellte sie das Kästchen auf die Kommode. Im selben Augenblick läutete unten in der Halle das Telefon. Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und lief die Treppe hinab.
*
„Hab ich dich geweckt?" fragte Cash.
„Nein", erwiderte Susan. „Seit ich auf der Rocking M bin, stehe ich schon im Morgengrauen auf."
Er lachte. „Du kannst wieder ins Bett gehen, Schwesterchen. Ich komme erst am späten Nachmittag."
„Warum?"
„Der Jeep streikt."
„Was ist passiert?"
„Keine Ahnung."
„Es ist direkt beleidigend, wie fröhlich deine Stimme klingt."
„Tut mir leid. Ich werde mich beeilen und sehen, daß ich um vier da bin."
„Dann wird es zu spät sein, um in den September-Canyon zu fahren. Für heute nacht ist Regen angesagt. Und wenn wir nicht auf der anderen Seite des Picture Wash sind, ehe er sich mit Wasser füllt, müssen wir tagelang warten, bis er wieder passierbar ist."
„Wenn ich mir einen Lieferwagen leihe ..."
„Nein", unterbrach sie ihn und bereute ihren vorwurfsvollen Tonfall. Schließlich war es nicht Cashs Schuld, daß der Jeep wieder einmal seinen Geist aufgegeben hatte. „Das ist nicht nötig. Es war nur - ich hatte mich so darauf gefreut, endlich den September-Canyon zu sehen, den ich seit Jahren nur vom Hörensagen kenne."
„Warum läßt du dich nicht von Scott hinfahren? Der kann sicher ein paar Urlaubstage vertragen."
Allein schon die Vorstellung, mit Scott allein in der von Klippen gesäumten Stille des Canyons zu sein, beschleunigte Susans Herzschlag.
Doch ihr Puls normalisierte sich sofort wieder, denn sie wußte, daß er sich weigern würde, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Sie hatte ihn schon mehrmals gebeten, ihr den September-Canyon zu zeigen. Und er hatte immer nein gesagt, mit der Begründung, die Schlucht sei zu weit entfernt, um nur für ein oder zwei Stunden hinzufahren.
„Er hat eine Menge zu tun", entgegnete sie beiläufig. „Wenn sich keine andere Möglichkeit ergibt, werde ich allein fahren. Scott hat mir erklärt, der Canyon sei nicht schwer zu finden. Du kannst ja nachkommen, wenn sich dein boshafter Jeep wieder auf seine Pflichten besonnen hat."
Am anderen Ende der Leitung entstand ein kurzes Schweigen, und Susan spürte, daß ihr Bruder nicht gerade begeistert von diesem Vorschlag war. Schließlich fragte er: „Versprichst du mir, gut aufzupassen? Du darfst auf keinen Fall allein die Felswände hochklettern."
„Das werde ich gewiß nicht tun, und ich habe auch nicht vor, während eines Gewitters in trockenen Flußbetten zu kampieren", erwiderte sie sarkastisch.
„Und wenn du Ruinen findest, wirst du nicht drin rumstöbern, wenn niemand bei dir ist, verstanden?"
„Cash ...", begann sie.
„Versprich es mir, Susan! Nach allem, was ich gehört habe, können diese alten Gemäuer jeden Augenblick zusammenbrechen."
Sie seufzte. „Cash, ich bin achtzehn Jahre alt und werde bestimmt keine Dummheiten machen. Aber ich möchte mich auch nicht anketten lassen. Seit Jahren wünsche ich mir, den September-Canyon zu sehen. Und in diesem Sommer habe ich wochenlang gearbeitet und mir nur ganz wenig Freizeit gegönnt, damit ein paar Urlaubstage zusammenkommen. Deshalb werde ich jetzt zum Canyon fahren - ohne dich. Wenn dir das mißfällt, tut's mir leid. Du mußt eben einfach Vertrauen zu mir haben."
„Und wenn die Reparatur am Jeep länger dauert als erwartet? Oder, wenn es regnet? Dann würdest du eine Woche lang im Canyon festsitzen, ganz
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