Champagnerwillich: Roman
nicht wieder auftaucht.
Apropos … wo ist es nur? Ich kann es nicht finden. Hier liegen nur Berge von Papier. Natürlich in Klarsichtfolien gesteckt und in Ordnern zusammengehalten. Vielleicht hat Nathan es in eine der Schubladen verstaut. Ich öffne die erste, dann die zweite, dann die dritte Schublade seines Schreibtisches.
Auf einmal reiße ich meine Augen auf. Ich blicke auf einen weißen Umschlag mit der Aufschrift »Für Jil«. Ich verharre für einen Moment. Ob ich den Brief lesen soll? Nein,besser nicht. Ich hätte gar nicht an seine Schreibtischschubladen gehen dürfen. Wenn ich doch nur nicht so schrecklich neugierig wäre. Aber andererseits steht doch »Für Jil« drauf. Und ich bin Jil. Ich bezweifle, dass es noch eine zweite Jil in Nathans Leben gibt, und wenn doch, sollte ich das wissen. Ich beschließe, dass es mein bürgerliches Recht und meine emotionale Pflicht ist, den Brief zu öffnen.
Liebe Jil,
heute Abend werde ich dich endlich fragen, ob du mich heiraten möchtest. Mir ist noch nie eine Frau, wie du es bist, begegnet. Und nur weil ich tiefes Vertrauen zu dir habe, wage ich es, diese Frage zu stellen.
Ich verspreche dir, ich werde die Welt um dich drehen. Ich verstehe nicht viel von der Liebe. Wie auch, wo doch das Herz nach seinen eigenen Regeln spielt. Aber ich weiß, dass es keinen zweiten Menschen gibt, der mein Herz je mehr berührt hat.
Ich wünsche mir nichts mehr, als mit dir alt zu werden und uns nach vielen wertvollen Jahren daran zu erinnern, wie wunderschön der Abend war, als ich um deine Hand angehalten habe.
Jil, wenn du mir heute sagst, dass du meine Frau werden willst, werde ich dich mein Leben lang lieben und ehren. Ich möchte dich beschützen, und du sollst meine Welt sein. Ich weiß, ich brauche dir diese Frage nur einmal zu stellen, weil wahre Liebe keine Zeit zum Wachsen braucht. Seit ich dich kenne, ist mein Leben komplett.
Ich liebe dich.
Dein Nathan
Tränen kullern mir über die Wangen. Ich wünschte, Nathan würde jetzt durch die Wohnungstür kommen und mich miteinem »Hallo Süße, ich habe Antipasti und Chianti von Luigi mitgebracht«, begrüßen.
Ich bin am Boden zerstört. Ich wische mir die Tränen von den Wangen und beschließe zu gehen. Als ich jedoch die Schublade wieder schließen möchte, entdecke ich ein Schildchen mit der Aufschrift »STRENG GEHEIM«. Ich liege in der Kartei »STRENG GEHEIM«? Sehr interessant. Was liegt denn hier noch so alles herum? Ich frage mich, wie kann man an etwas streng Geheimes ein »STRENG GEHEIM«-Schild machen. Ich würde solche Sachen eher mit »ABSOLUT LANGWEILIG« beschriften. Das ist doch sonst viel zu auffällig, da könnte man vor dem Urlaub auch gleich auf den Anrufbeantworter sprechen: »Hallo ihr Lieben, leider sind wir vom 01.04 bis zum 31.05 auf Mallorca und können daher in dieser Zeit eure Anrufe nicht entgegennehmen. In wichtigen Fällen ruft zwischen 20.00 und 20.10 Uhr an. In dieser Zeit lässt unsere Nachbarin die Rollladen herunter, damit die Einbrecher denken, dass wir zu Hause sind. Danke. Piep!«
Meine Finger fliegen durch die Unterlagen in der Schublade. Ich stocke bei einem Ordner mit der Aufschrift »Liquid Lady«. Schlagartig steigt Eifersucht in mir auf. Wer ist »Liquid Lady«? Eine heimliche Geliebte? Wie lange kennt er diese »Liquid Lady« denn schon, und weiß sie vielleicht auch nicht, dass es mich gibt? Dass es mich gab , verbessere ich mich und schluchze laut auf. Wahrscheinlich ist er mit ihr gerade auf Mykonos, und sie isst meine Garnelenspieße auf Champagnersoufflee.
Wutentbrannt öffne ich den Ordner und …
Äh. Was ist das? Zahlen. Nichts als Zahlen? Ich überfliege die ersten Zeilen in der Hoffnung irgendetwas von diesem Ziffernwirrwarr zu verstehen. Ich bin nicht gerade ein Finanzgenie, aber bei »Liquid Lady« scheint es sicheindeutig um ein ungemeldetes Nummernkonto in der Schweiz zu handeln. Das ist doch unglaublich. Welch eine Ametrie! Ich bin eifersüchtig auf ein Nummernkonto! Ich sollte dringend mal wieder zum Psychiater gehen. Bei mir ist der Schritt zu einer waschechten Mikrozephalen wirklich bedenklich klein!
Also, mein Mister Moral steckt doch voller Überraschungen. Dummerweise ziehen mich geheimnisvolle Menschen magisch an.
Genug geschnüffelt! Mehr flüssige Damen vertrage ich für heute nicht. Außer mich selbst vielleicht. Ich beschließe, meinen Plan zu ändern und so lange betrunken zu bleiben, bis ich mein Leben wieder im Griff habe. Vielleicht
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