Champagnerwillich: Roman
die Haare zusammen und kuschle mich in Luisas übergroße, braune Wollstrickjacke.
Ist dein Leben nicht schon kompliziert genug?, frage ich mich auf dem Weg zur Küche. Aber nein. Du findest immer einen Weg, es noch komplizierter zu machen.
Hmmm. Ärger mit sich selbst zu haben ist die schlimmste Form des unlogischen Konflikts!
Ich mache mir erst mal einen Cappuccino und verlasse mit der dampfenden Tasse die Wohnung, um die zwei Stockwerke bis hinauf auf das Bungalowdach des Hauses zu schleichen.
Normalerweise komme ich nie hier herauf, weil die Dachterrasse für alle 26 Bewohner des Hauses zugänglich ist und alle von ihrem Recht Gebrauch machen. Und das meist gleichzeitig. Ich halte den Kontakt zu meinen Nachbarn – Mark einmal ausgenommen – so gering wie möglich! Wenn du dich einmal mit ihnen anfreundest, musst du ihnen dauernd Eier leihen, ihre Blumen gießen oder auf ihren Hund aufpassen. Als ich das letzte Mal zwei Wochen lang die Blumen von Frau Piepe gießen sollte, gab es am Ende zahlreiche Ertrinkungs- und Vertrocknungsopfer. Die Erkenntnis, dass man Blumen nach zweiwöchiger Trockenphase nur allzu leicht in Wasser ertränken kann, sorgte dafür, dass ich stundenlang durch Gärtnereien stapfen musste, um Pflanzen zu finden, die den floralen Leichnamen auf Frau PiepesFensterbank irgendwie ähnlich sahen. Kann nur sagen, dass dieses Unterfangen nicht wirklich von Erfolg gekrönt war, aber wer hätte auch schon ahnen können, dass es sich bei Gymnospermen um Pflanzen handelt?
Außerdem führt übertriebener Kontakt mit den Nachbarn nur dazu, dass einem irgendwelche »Und wie geht es Ihnen«-Gespräche im Hausflur aufgezwungen werden. Ein diskretes Kopfnicken hingegen klärt höflich die »Nein, du kannst dir meinen Mixer nicht ausleihen«-Fronten ohne Worte.
Aber an diesem Sonntagmorgen um halb sechs habe ich die Dachterrasse und den wunderschönen Blick über München für mich allein. Das Licht der aufgehenden Sonne legt sich über die Dächer, und ein frischer Wind weht von Zeit zu Zeit sanft durch meine Haare. Ich blinzle in die Sonne, schlürfe an meinem Cappuccino und frage mich, ob es irgendwo auf der Welt einen zweiten Menschen gibt, der jetzt gerade in die Sonne blinzelt und an seinem Cappuccino schlürft. Und ob dieser Mensch auch immer so dämliche Sachen macht wie ich? Wieso muss ich auch immer erst die Dinge ausprobieren, um zu merken, dass sie nicht funktionieren?
Drei Stunden später fliegt die Tür zur Dachterrasse auf, und die Brummhackers platzen mir mit einem Liegestuhl, zwei Handtüchern, einer Kühlbox, einem Sonnenschirm und einem Gettoblaster entgegen. Sie sind das lebende Beispiel dafür, dass eine deutsche Weißhaut kein Hawaiihemd mit Bermudashorts und Adiletten tragen sollte.
»Jawosisnetdes, Frau Schöneberg. Mir ham Sie ja scho a Ewigkeit nicht mehr g’sehen. Wie geht’s denn so?«
»Gut, danke. Und Ihnen?«
»Basst scho. Nächste Woche müssen mir zur Schwäg’rin ihren fünfzigsten Geburtstag, die alte Spinatwachtel. Des gibt wieder a Spektakel, dolegsdiniedr.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß.« Ich schnappe mir meine Tasse und höre, wie mir Herr Brummhacker bei meiner Flucht in den Hausflur nachschreit: »Ja, b’hüt di Gott. Ach, könnten S’ da nicht auf unseren Wellensittich, den Herbert, aufpass’n!?«
Gelernte Wörter: Virilität = männliche Kraft;
Allotria = ausgeführter Unfug;
Gymnospermen = nacktsamige Pflanzen.
18
GEHEIMER ABSCHIED UND
PLANLOSER ANFANG
H err Schnüttge.«
»Frau Schöneberg.«
»Meinen Sie, Sie könnten mir unter Hypnose eine Schokoladenallergie einreden!«
»Ich denke nicht.«
»Verstehe.«
Heute ist ein wunderbarer Tag, um mein Leben zu ändern! Habe beschlossen, bis ich die Dinge wieder im Griff habe, keinen Tropfen Alkohol mehr zu trinken. Als Erstes steht Sport auf dem Programm, danach hole ich meine restlichen Sachen aus Nathans Wohnung, und dann rede ich mit Mark. (Der letzte Punkt ist eher ein guter Vorsatz, der nur als guter Wille zu verstehen ist und wahrscheinlich auf Silvester verschoben wird.)
Männer. Männer. Männer. Wer braucht schon Männer? Ich sollte mich auf diesem Sektor vielleicht mal wieder in flächendeckender Realitätsverdrängung üben.
Sehr gut! Ich bin wirklich verdammt gewissenhaft. Voller Stolz binde ich meine Turnschuhe zu und werfe Luisa, die untätig auf der Couch rumlümmelt und eine alte Folge von Dallas anschaut, einen ungläubigen Blick zu.
Tsissis, wie kann man nur so
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