CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
Energisch stach sie ihren Zeigefinger in Hakims Brust und
blinzelte ihn gespielt ernst an. »Haram! Verboten! Schwing deinen Luxuskörper
sofort aus unserem Frauenzelt, sonst hetzte ich die Hunde auf dich.«
Hakim lächelte sie
entwaffnend charmant an und streckte ergeben die Hände in die Luft. »Ich gehe ja
schon.« Als Mouna drohend nickte und sich kurz umdrehte, nutzte Hakim die Gunst
der unbeobachteten Sekunde und presste Hannah kurz an seinen harten Körper. »Ich
wünsche dir einen schönen Nachmittag, Habibti. Lass dich von meiner Schwester
nicht allzu sehr einschüchtern. Sie tut nur so, als ob sie beißt. In
Wirklichkeit ist sie ein netter Mensch.«
»Das habe ich gehört«,
zischte Mouna empört, »und jetzt raus hier.« Lachend verzog sich Hakim auf die
Männerseite am abgelegenen Rand des Zeltplatzes.
Als sich Hannahs
Herzfrequenz wieder in geordneten Bahnen befand, sah sie, wie Riah ihr langes,
rubinrotes Kleid anmutig bis zu den Knien hochzog. Dabei glitzerten die
unzähligen Pailletten auf der reichverzierten Seide im Schein der untergehenden
Sonne. Eine ältere Frau hockte sich neben der Braut auf den Boden und begann
eine dunkle Paste anzurühren und Unmengen von Watte neben sich auszubreiten.
»Was bedeuten die
Henna-Tattoos eigentlich«, fragte Hannah leise und zupfte Mouna am Ärmel. Diese
runzelte die Stirn und überlegte, wie sie es ihrer Freundin in einfachen Worten
erklären konnte.
»Also, in unserer
islamischen Welt wird Henna hauptsächlich zum Färben der Hände und Fußsohlen
verwendet. Wir zelebrieren das traditionell zu Hochzeiten und Beschneidungen der
Jungen. Komm näher, ich zeig es dir.« Sie begrüßte Riahs Mutter respektvoll und
zog Hannah neben sich auf den Boden.
»Schau, nach dem
Aufkleben der Pflasterschablonen trägt ihre Mutter jetzt die angerührte
Hennapaste auf die Fußsohlen, auf die Fingerkuppen und die Handinnenflächen bis
zum Rand der Schablonen auf. Dann bedeckt sie die Bemalungen mit Unmengen Watte.
Um zu verhindern, dass die Hennapaste austrocknet, wickelt sie abschließend die
Hände und Füße ihrer Tochter in Stofflappen, die sie mit einer dünnen
Plastikfolie umwickelt. Und damit ist die liebe Riah jetzt bewegungslos auf
ihren Diwan gefesselt«, kicherte sie.
Plötzlich erhob sich
ein junges Mädchen und stellte das Radio lauter. Die einschmeichelnde arabische
Musik des Baladi, des arabischen Bauchtanzes, erklang. Das Mädchen streifte ihre
Schuhe von den Füßen, hob die Hände über ihren Kopf und begann ihren Körper und
ihre Hüften in einschmeichelnden Wellen kreisen zu lassen. Nach ein paar Minuten
löste ein anders Mädchen sie ab. Mouna flüsterte Hannah leise ins Ohr, dass jede
Frau im Zelt an die Reihe kommen würde.
»Bist du verrückt«,
flüsterte Hannah nervös zurück, »ich kann mir noch nicht mal die Schritten eines
einfachen Foxtrott merken. Willst du mich hier vollkommen lächerlich machen?«
Mouna legte ihr eine
Hand auf dem Arm und machte zur Abwechslung mal ein ernstes Gesicht. »Hannah,
keine Frau macht sich hier lächerlich. Unsere traditionellen Tänze haben keine
vorgeschriebene Schrittfolge. Jede Frau folgt dem ureigenen Rhythmus ihres
eigenen Körpers. Weißt du, es ist ein sehr weiblicher Tanz, der den Körper einer
Frau auf das Schönste zur Geltung bringt. Durch den Baladi kann die Tanzende
ihre Sehnsucht und Leidenschaft ausdrücken. Es ist ein sehr alter Tanz und in
der Musik dazu liegt immer eine Art von Wehmut und Melancholie. Die Lieder
erzählen von der Trauer um die verlorengegangene alte Heimat. Mit einer
versteckten Kritik am bestehenden System und den aktuellen Lebensbedingungen.
Ich nenne ihn den Blues der arabischen Welt. So, und jetzt bist du an der
Reihe.«
Mit flinken Fingern
schlang Mouna der perplexen Hannah ein goldschimmerndes Tuch um die Hüften und
schob sie in die Mitte der klatschenden Frauen, die mittlerweile einen Kreis
gebildet hatten. Hannah stand zuerst wie erstarrt, doch dann begann sie sich auf
die melancholische Melodie zu konzentrieren, bis sich ihr Körper wie von selbst
bewegte. Erst zögernd, dann immer selbstvergessender begannen ihre Hüften wie
von selbst verführerische wellige Kreise zu ziehen und ihre Arme glitten in die
Luft.
Sie hatte die Augen
geschlossen und merkte nicht, dass mitten im Tanz der Wüstenwind das Tuch vom
Eingang hochwehte. Nur Mouna sah den sehnsuchtsvollen Blick ihres Bruders auf
Hannahs Gestalt.
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