CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
einer kleinen Siedlung, in deren
Mitte ein riesiges Zelt aufgebaut war. Ungerührt von dem chaotischen Hin- und
Herrennen der unzähligen Menschen auf dem Platz nahm Mouna ihre Hand und
dirigierte Hannah auf das Zelt zu.
»Eine arabische
Hochzeit dauert normalerweise fünf Tage«, erklärte sie. »Die einzelnen Tage des
Hochzeitsfestes folgen einem traditionellen Schema und werden nach den
Zeremonien des jeweiligen Tages benannt. Für die Braut beginnt es mit dem Yaum
al-Hinna, dem sogenannten Hennatag, der der Vereinigung des Brautpaares
vorausgeht. An diesem Tag bereitet sie sich mit einem rituellen Bad auf ihre
Hochzeit vor. Je nach finanziellen Möglichkeiten wird das Bad zu Hause
vorgenommen oder in einem öffentlichen Bad, dem Hammam. Riahs Familie bevorzugt
den privaten Bereich, darum haben sie diesen Festplatz mit den Zelten
angemietet, in dem sich Riah mit ihren Freundinnen und weiblichen
Familienangehörigen für die Hochzeit vorbereitet. Hier wird ihr Körper gereinigt
und dazu gehört auch die Entfernung aller Körperhaare.« Auf Hannahs erstaunten
Blick hin kicherte sie verschmitzt. »Du hast schon richtig gehört, alle Haare
außer am Kopf.«
»Autsch«, murmelte
Hannah vor sich hin und sah an sich herunter. Wenn sie an ihre monatliche
Entwachsung dachte, die nur die schmale Bikinilinie betrafen, mochte sie sich
den Schmerz einer kompletten Enthaarung in diesem Bereich lieber nicht
vorstellen.
Mouna grinste
vielsagend. »Es tut sehr weh, das kann ich dir versichern. Aber wer schön sein
will, muss eben leiden. Das wie ein Fest gestaltete rituelle Bad verdeutlicht
den Stellenwert, den die Bestimmungen des Korans für die Gläubigen im
Alltagsleben einnehmen. Denn im Koran wird die absolute körperliche Reinheit zur
Durchführung der Gebete vorgeschrieben und eben auch die ganzflächige
Enthaarung«, erklärte sie leise und führte sie in das Zelt, wo die Braut auf
einem buntgeschmückten Kissen saß und ihre Freundin lächelnd begrüßte.
Mouna zog sie neben
sich, als sie sich neben der angehenden Braut auf den niedrigen Diwan
niederließ. Da Riah kein Hebräisch sprach, übernahm sie die Vorstellung der
Mädchen und erzählte dann munter weiter: »Also, nach dem Bad werden die Hände
und Füße der festlich angezogenen und geschmückten Braut mit rotem Henna
gefärbt. Die Brautmutter trägt ein traditionelles Muster ihres Stammes auf. Das
Auftragen der Hennapaste und das anschließende Einziehen der Farbe dauert
mehrere Stunden. Diese verbringt die Braut traditionell im geselligen
Beisammensein mit weiblichen Verwandten und ihren besten Freundinnen. Bei euch
nennt man das wahrscheinlich Junggesellenabschied, oder?«
»Ja«, stimmte Hannah
zu. »Die Verlobte feiert am Vorabend der Hochzeit mit ihren Freundinnen und der
Mann verbringt den Abend mit seinen besten Kumpels bei einer Runde Maccabee-Bier
… wahrscheinlich eher zwei Runden, oder noch mehr«, kicherte sie
verschwörerisch. »Dann sind unsere Bräuche gar nicht so verschieden, außer dass
wir statt Bier Minztee trinken«, stimmte Mouna in ihr Lachen ein und zeigte
danach auf Riah, die stoisch auf ihrem bestickten Kissen saß und der es nicht
das Geringste auszumachen schien, dass tausend Hände an ihr
herumzupften.
»Eine arabische Braut
nimmt an diesem Abend Abschied von ihrem Elternhaus. Wenn sie durch die
bevorstehende Heirat in eine andere Stadt übersiedelt, ist das auch ihr Abschied
von dem Freundinnenkreis der Mädchenjahre. Darum versuchen wir ihr den Abschied
so schön wie möglich zu gestalten. Es wird getanzt, gesungen und gegessen,
während die Braut, deren Hände und Füße mit Henna belegt sind, bewegungslos
dabei sitzt, doch in Gedanken ist sie während der ganzen Zeit bei uns.«
»Ja, Allah!«
Der Ausruf unterbrach
Mounas farbenprächtigen Bericht und kündigte an, dass ein männlicher Besucher
das Frauenzelt betreten hatte. Im selben Moment wurde das Tuch am Zelteingang
zurückgeschlagen und ein Arm griff nach Hannah. Erschrocken quiekte sie auf,
drehte sich um und sah in das verschmitzte Gesicht von Hakim.
»Schalom«, murmelte er
und man sah ihm an, dass es ihn freute, sie zu überraschen. »Kommst du mit
meiner verrückten Schwester einigermaßen klar?«
»Oh ja, sie ist
fantastisch«, flüsterte Hannah und war erneut überwältigt, welche magische Macht
er über ihre Gefühle besaß. Dieses Gefühl schien Mouna allerdings in keinster
Weise zu teilen.
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