Chaos Erde
im Leben käme ich auf die Idee.«
»Na, dann ist ja alles in Ordnung. Entschuldigen Sie die Störung. Ich muß wirklich einmal den Vokabulator nachsehen lassen.«
»Ah, Miss Anangaranga-Jones!«
Die beunruhigend aufgeregte Stimme erscholl hinter Nixy und Quaddel, während sie sich noch zu orientieren versuchten. Aus dem Direkttranslokationsbüro Roms waren sie auf einen Platz gelangt, der einer monströsen Baustelle ähnelte, flankiert von Säulengängen und Mauern voller Fresken. Staub und Krawall erfüllten die Luft.
Links von den beiden bemühte sich eine Gruppe von Männern und Frauen, die sich gegenseitig Anweisungen zukeiften, ohne daß einer dem Gezeter des anderen auch nur die geringste Beachtung entgegenbrachte, den Sockel eines riesigen Reiterdenkmals zu ersteigen, das einen mit Bronzerüstung gepanzerten Feldherrn darstellte. Weil die Statue mitten in der Luft schwebte – und zudem mit dem Kopf nach unten –, flößte das Geschehen Quaddel erhebliche Sorge ein.
Von vorn behelligte eine große, dreidimensionale Reklame-Apparatur ihn und Nixy geradezu wegelagerisch auf buchstäblich jeder Wahrnehmungsebene. Schon die olfaktorische Zudringlichkeit allein verschlug ihnen schier den Atem, doch auch alle sonstigen Emissionen hatten zumindest lästigen Charakter. Zum Glück war der Abstand noch groß genug, um nicht davon überwältigt zu werden. Nur eine der Marktschreiereien hatte genügend Durchsetzungskraft, um selbst über die Entfernung hinweg ihre Aufmerksamkeit zu erzwingen, bevor es ihnen gelang, sie ihr vollständig zu entziehen.
»Sie wissen, daß Sie es wollen!« schmetterten Engelschorposaunisten. »Sie wissen, daß Sie es brauchen!« brummten himmlische Autoritäten. »Sie wissen, daß Sie es verdienen!« schnurrte schmeichlerisch die verführerische Stimme des Urweibs Lilith. Anschließend vereinten sie alle sich zu einem schrillen Dreiklang. »Bringen Sie das allergrößte Meisterwerk der terranischen Kunst mit heim! Mit Freuden malt Michelangelo nur für Sie ein Gemälde an die Decke der Sixtinischen Kapelle! Er muß es, er muß. Sie wissen, daß sie wissen, er muß es unbedingt! Denn bleibt es ihm verwehrt, muß er sterben. Können Sie den Tod eines bedeutenden Künstlers auf Ihr Gewissen nehmen? Wären sie dazu fähig? Selbst wenn er einer anderen Spezies angehört?«
»Michelangelo«, sagte dieselbe Stimme, die vorhin Nixys Namen genannt hatte, in trockenem Ton, »ist schon fünfzehnhundertvierundsechzig gestorben. Diese Bürde kann mein Gewissen tragen. Ich denke mir, auch Ihr Gewissen kann es verkraften. Aber ich glaube, manchmal hat das Gejammer sehr wohl seine Wirkung auf weichherzige Aliens… Nicht daß viele Aliens überhaupt Herzen hätten.«
Rechts fraß eine Maschine, die Kiefer wie ein Krokodil hatte, eine Schneise durch ein neobrutalistisches Stahlbeton-Bauwerk, dessen Fassade Bronzetafeln schmückten, die als Hochrelief das Symbol der italienischen Faschisten des 20. Jahrhunderts zeigten, die in ein Rutenbündel geschobene Axt. Vor dem Gebäude, das inzwischen halb in Trümmern lag, nur noch eine Ruine war, hüpfte ein Mann in prächtiger Uniform, auf dem Kopf eine Troddelmütze und im Gesicht ein überstark ausgeprägtes Kinn, auf und nieder wie Rumpelstilzchen, schrie dabei pausenlos in ein Megafon. Leider hielt er es auf die Maschine gerichtet, die gewaltigen Krach verursachte, so daß sich nur Wortfetzen seines Protestgegeifers auffangen ließen. Hinter ihm gaben ungefähr ein Dutzend Sympathisanten, die als einheitliches Merkmal schwarze Hemden mit roten Armbinden trugen, im übrigen jedoch Kleidung in durch greuliche Geschmacksverirrungen gekennzeichneter farblicher Vielfalt, sich alle Mühe, das gleiche wie ihr Anführer zu grölen, blieben aber jedesmal um eine störende Halbsekunde dahinter zurück.
»Und das, nachdem er solchen Wert darauf gelegt hat, genau wie das Original auszusehen«, äußerte wieder dieselbe Stimme. »Man könnte fast von Ungerechtigkeit sprechen, stimmt’s? Aber der Markt folgt nun einmal einer unausweichlichen Logik…« Die Stimme schlug einen leicht vorwurfsvollen Tonfall an. »Verzeihen Sie, aber wenn Sie zufällig erfahren möchten, wer mit Ihnen redet, sollten Sie vielleicht in meine Richtung schauen.«
»Ich möchte es gar nicht erfahren«, erwiderte Nixy schroff. »Ich bin’s satt, mich überall, wohin ich gehe, mit Demonstranten herumzuärgern. Schließlich habe ich nicht darum gebeten, in meiner Familie geboren zu
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