Chaosprinz Band 1
aufgerissen. Er ist gerade im Begriff, in das Sandwich hineinzubeißen, und Bettina sieht ihm lachend dabei zu. Ein schönes Bild.
Das nächste Foto zeigt Maria. Sie steht neben dem Gehege der Flusspferde und verzieht angeekelt ihr Gesicht, als das große Tier einige Meter von ihr entfernt gerade seine Notdurft verrichtet. Ich muss grinsen und schalte weiter.
Timmy hat seine Zwillingsschwester fotografiert: Emma steht vor der Scheibe des Gorillakäfigs und blickt mit offenem Mund in das Gesicht eines großen Affen. Das Tier ist keinen Meter von ihr entfernt und schaut sie ernst an. Es ist nur das Glas, das sie trennt.
Ich muss ehrlich gestehen, ich bin beeindruckt, Timmy hat ein unglaublich gutes Auge für die Gefühle und Gedanken seiner Motive. Es gelingt dem Fünfjährigen, Emotionen und Regungen mit einem einzigen Klick einzufangen. Die Bilder sind gut, sie sind wirklich sehr gut…
Nun sehe ich mich selbst, wie ich mit Emma an der Hand durch die angenehmen Schatten der hohen Bäume spaziere. Wir schauen uns dabei an. Sie erzählt mir was und deutet mit der Hand geradeaus. Wir wirken so vertraut, so entspannt. Ich seufze, schaue mir das Foto noch einige Minuten länger an und wähle dann das nächste aus.
Alex und ich auf dieser Parkbank. Er hält noch den Roman von Dostojewski in der Hand. Wir sitzen sehr eng beieinander, sehen uns an. Ein kribbeliges Gefühl in meinen Fingerspitzen, ich bekomme eine Gänsehaut. Warm klopft es in meiner Brust. Ich kann den Blick nicht von diesem Bild nehmen. Es ist so offensichtlich, so wahnsinnig offensichtlich!
Doch den anderen schien es vorhin nicht aufgefallen zu sein. Ich habe erwartet, sie würden aufspringen, mit den Fingern auf uns zeigen und empört Skandal! rufen. Doch nichts dergleichen ist geschehen. Haben sie nicht richtig hingesehen?
»Wusste ich doch, dass du noch wach bist, Bambi.«
Erschrocken fahre ich zusammen. Schnell drücke ich auf Weiter und lasse ein anderes Foto auf dem Fernsehbildschirm erscheinen. Müde lässt er sich neben mich fallen. Sein blondes Haar ist leicht zerzaust, was ihm ganz wunderbar steht. Scheinbar ist er schon im Bett gewesen.
»Warum bist du noch nicht im Bett?«, fragt er mit schläfrig rauer Stimme und ich kann schon wieder die kleinen Härchen in meinem Nacken und auf meinem Unterarm spüren, die sich bei diesem Klang kribbelig aufstellen.
»Ich könnte dich dasselbe fragen«, nuschele ich leise.
»Hatte Durst«, murmelt er recht einsilbig.
Ich lächle ihn kurz an und schaue dann wieder auf den Bildschirm. Bettina, Maria und Emma stehen Arm in Arm vor dem Giraffengehege. Sie strahlen in die Kamera. Ihre blonden Haare glänzen im Sonnenlicht, die grauen Augen blitzen freundlich.
»Sag schon, Bambi, warum bist du noch wach?« Alex' Frage holt mich wieder in die Realität zurück.
»Ich wollte mir nur noch einmal die Bilder anschauen. In Ruhe und so…«
»Er hat dir gefallen, der Tag heute, oder?« Alex sieht mich an.
»Ja!«
»Warum?«
»Weil…« Ich überlege zögernd. »… weil wir heute eine richtige Familie waren.«
Alex hat den Kopf immer noch in meine Richtung gedreht und mustert mein Profil. Ich kann seinen Blick auf meinem Gesicht spüren. Nervös atme ich ein und wieder aus. Stetig ansteigende Wärme breitet sich in mir aus.
»Familie ist dir wichtig, oder?«, fragt er schließlich rau.
»Ja. Dir doch auch.« Nun wage ich es doch und schaue ihm in die Augen.
»Hm… ja… Aber ich finde das alles nicht so einfach…«
»Ja, ich weiß, was du meinst, aber trotzdem gibt es kaum etwas Schöneres als die Familie.«
Alex sieht mich schweigend an.
»Ich meine, ich hatte eine tolle Kindheit. Ma und unsere Freunde haben mir immer viel Geborgenheit und Wärme gegeben, es war sehr schön. Ich will mich nicht beschweren. Aber es war einfach doch etwas anderes… sehr individuell, vielleicht auch ein bisschen extrem… anders halt! Wir hatten uns lieb und passten aufeinander auf, doch... Hm, es war eben ein anderes Gefühl von Zusammengehörigkeit. Vielleicht haben wir auch nur zusammengehört, weil wir sonst nirgends reingepasst haben...«
Ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat. Würde mich schwer wundern, denn ich verstehe mich ja selbst kaum. Es will mir nicht gelingen, für diese Gefühle in meinem Inneren die richtigen Worte zu finden.
»Was willst du eigentlich?« Alex lehnt in den weichen Kissen, das blonde Haar glänzt im Schein des Fernsehers, der einzigen Lichtquelle im ansonsten stockdunklen
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