Chaosprinz Band 1
aus. Alex steuert eine Parkbank an und lässt seinen Rucksack, den er mitgeschleppt hat, darauf fallen.
»Timmy, Emma, kommt her, ihr müsst mal was trinken, ihr habt doch sicher Durst, oder?« Er kramt in dem Rucksack und sucht nach den kleinen Apfelsaftflaschen, die Bettina für die Zwillinge eingepackt hat. Ich sitze erschöpft neben ihm auf der Bank und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Die Zwillinge scheinen aber noch überhaupt nicht müde zu sein.
»Und wer wohnt da?« Emma zeigt auf das große, neue Orang-Utan-Haus mit seinem riesigen Außengehege.
»Da wohnen Ernie und seine Familie.« Ich nicke bestimmt.
»Wie kannst du dir diese ganzen albernen Namen nur immer merken?« Grinsend schüttelt Alex den Kopf, dann reicht er den Kleinen jeweils eine Flasche Saft. Ich beobachte, wie er das ganze Zeug, das er bei der Suche nach den Getränken aus dem Rucksack geholt hat, wieder darin verstaut.
Auf seinem Schoß liegt ein dickes, altes Buch. Es ist ziemlich zerlesen und die Seiten scheinen schon leicht vergilbt. In goldenen Buchstaben ist der Titel in das braune Leder gepresst worden. Dostojewski. Schuld und Sühne.
»Oh, ist das dein Buch?« Schnell greife ich nach dem Ledereinband und betrachte den goldenen Schriftzug auf dem Buchdeckel.
»Ja«, antwortet er mir etwas unwillig und will mir das Buch wieder aus der Hand nehmen.
»Lass doch mal!« Ich schiebe seinen Arm beiseite. »Ich habe gar nicht gewusst, dass du solche Bücher liest.«
»Was soll denn das heißen? Sehe ich aus wie ein Comicfreak oder glaubst du, ich habe zu Hause nur den Kicker herumliegen?« Alex schnaubt verächtlich.
Ich ignoriere ihn und blättere vorsichtig durch die Seiten. Dann bemerke ich die feinen Bleistiftnotizen an den Rändern des Textes. Mit enger, sauberer Handschrift sind dort Bemerkungen aufgeschrieben. Erstaunt sehe ich Alex an.
»Hast du das da hingeschrieben?«
»Nee, das war schon so, als ich das Buch gekauft habe. Hab mich auch erst gewundert, aber dann dachte ich: Hey, mal was Neues! Und nun gib her.«
Ich halte das Buch so, dass er nicht drankommt. »Jetzt ernsthaft, warst du das?«
Er schnaubt genervt: »Ja!«
»Und was schreibst du da so?« Neugierig blättere ich in den Seiten herum. Schnell reißt Alex mir das Buch aus der Hand.
»Das geht dich nichts an, Bambi«, faucht er wütend.
»Tut mir leid, aber was ist denn so schlimm daran. Du musst mir ja nichts vorlesen, oder so.« Ich mustere ihn vorsichtig.
Er seufzt. »Ich notier mir halt so meine Gedanken…«, nuschelt er leise.
»Gedanken? Was für Gedanken? Hallo, liebes Buch, ich muss heute noch die Mathehausaufgaben machen und nachher fahre ich vielleicht zu Tom und wir gucken Kill Bill , so was in der Art?«
»Haha! Sehr witzig!« Beleidigt stopft er das Buch zurück in den Rucksack.
Unsicher rutsche ich etwas näher an ihn heran. Ich hab ihn nicht wütend machen wollen. Und ihn verarschen wollte ich schon dreimal nicht. Im Gegenteil, ich muss zugeben, ich bin ein bisschen beeindruckt… Ich berühre sein Knie ganz sachte mit meinem.
»Ich hab mich nicht über dich lustig gemacht, ehrlich nicht«, flüstere ich vorsichtig und schenke ihm meinen treusten Welpenblick. Kurz sieht er mich intensiv an, dann schaut er blinzelnd zu Timmy und Emma, die etwas abseits stehen und die Orang-Utans beobachten.
»Schon okay«, nuschelt er.
»Also, was schreibst du so an die Ränder deiner Bücher?«
»Ach, einfach nur die Gedanken, die mir so beim Lesen kommen. Zum Inhalt, aber auch zum Schreibstil des Autors oder zu irgendwelchen sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen… das hängt eigentlich vom Buch ab…«
Ich mustere ihn eine Weile. Ich stelle ihn mir vor, wie er gedankenverloren auf seinem Bett liegt, einen Bleistift in den Fingern, die Lesebrille auf der Nase, und völlig in der Welt zwischen zwei Buchdeckeln gefangen ist. Ein schönes Bild.
»Ich finde so was toll«, sage ich etwas heiser und bereue sofort meine blöde Wortwahl. Er liest sich hier durch den Kanon der Weltliteratur und grübelt über sozialpolitischen Fragen und ich sage dazu Toll ! Sehr schön, Tobi! Da hast du deinen Intellekt mal wieder völlig ausgereizt…
Er lächelt kurz, schaut mich aber immer noch nicht an. Ich erinnere mich an das schwarze Notizbuch auf seinem Schreibtisch und die Kommentare von Erwin Pohlmann beim legendären Schellfisch-Desaster…
Alex hat auch mal eigene Geschichten geschrieben, vielleicht tut er es immer noch. Das würde ich gerne
Weitere Kostenlose Bücher