Chaosprinz Band 1
einmischen. Vergebene Männer sind tabu!«
Ich mustere ihr ernstes Gesicht. Sie hat ja recht, keine Frage. Ich muss an Pa, Bettina und Jasmin denken, an Manu, Marc und diesen fremden Mann und an Jan, Melanie und Lena. Dreimal Liebe, dreimal Beziehung und dreimal Seitensprung. Und trotzdem ist jeder Fall so verschieden. Die Beweggründe, die Ausgangssituationen und die Ausmaße.
Mir wird klar, es gibt keine allgemeingültigen Antworten. Doch einen Punkt gibt es, über den man nur schwer diskutieren kann: Lena hat es schon gesagt, sie will nicht die andere sein, die Person, die sich in eine bestehende Beziehung drängelt, die wohl wissend eine Liebe zerstört. Wer tut denn so etwas Rücksichtsloses und Egoistisches? Gibt es wirklich Menschen, die einfach denken Ich nehme mir, was ich will ?
Und dann trifft es mich wie ein Fausthieb mitten ins Gesicht. Ich habe das Gefühl, als ob mich ein heftiger Schlag nach hinten taumeln lässt, mir die Luft aus den Lungen presst. Ich kann nicht mehr richtig atmen… Ja, es gibt egoistische, selbstgerechte Menschen, denen es egal ist, wen sie verletzen und was sie zerstören. Menschen, die dem Partner ihrer Affäre auch noch eiskalt ins Gesicht schauen, ohne jede Reue, und dabei nur eifersüchtig denken Gib ihn her, ich will ihn! Solche Menschen gibt es…
Mich!
Als Alex und ich miteinander geschlafen haben, war er bereits mit Anja zusammen und ich kann nicht behaupten, dass ich davon nichts wusste. Und selbst jetzt, nachdem ich Anja kennengelernt habe, verspüre ich nicht den Hauch eines Schuldgefühls. Im Gegenteil, sollte Alex mich hier und jetzt bitten, wieder mit ihm zu schlafen, würde ich sofort zustimmen.
Da denke ich die ganze Zeit über die Beziehungen und das Liebesleben von Pa und meinen Freunden nach, urteile, schätze und beobachte mit dem Blick eines völlig Unbeteiligten und dabei bin ich der Schlimmste von allen.
»Tobi? Was ist denn? Du bist so blass.« Besorgt sieht mich Lena an. Sie streckt ihren Arm über den Tisch und legt ihre kleine Hand auf meine.
»Hm, ich weiß nicht… ja, alles klar«, sage ich schließlich schnell und reibe mir mit der flachen Hand über die Stirn. Plötzlich ist meine Erschöpfung wieder da. Es ist, als ob der Schock und die Grübeleien jegliche Energie aus meinem Körper gesaugt hätten.
»Trink deinen Kaffee aus. Wir müssen uns langsam auf den Weg zur Schule machen.«
***
»Welche Vorstellungen hatte also Friedrich Wilhelm IV. vom Kaisertum?« Herr Hess schaut sich fragend im Raum um.
Die meisten Schüler vermeiden es, ihm in die Augen zu sehen. Blickkontakt ist gefährlich. Die Lehrer missverstehen es häufig als Bereitschaft, eine Antwort zu geben. Ich halte mich an diese kleine Weisheit. Dösig starre ich auf die kleinen rechteckigen Karos meines Collegeblocks.
»Na schön«, brummt Hess, als ihm auch nach zwei weiteren Minuten des Wartens immer noch niemand antwortet. »Der preußische Monarch beharrte auf der Vorstellung des Gottesgnadentums, sah sich also direkt von Gott in das kaiserliche Amt erhoben. Er hatte absolutistische Ansprüche, so kam eine konstitutionelle Monarchie, in der er zwar Repräsentant gewesen wäre, aber keine wirkliche Macht gehabt hätte, für ihn nicht in Frage.«
Eigentlich mag ich Geschichte. Klar, sonst hätte ich es ja auch nicht zu meinem zweiten Leistungskurs gemacht. Aber heute bin ich einfach zu müde. Ich habe in der letzten Nacht keine drei Stunden geschlafen und in meinem Blut zirkuliert immer noch der Rest des Alkohols, den ich so unbedacht in mich hineingeschüttet habe. Ich seufze und stütze den Kopf in die Hände.
Martin neben mir schreibt eifrig mit, notiert sich jedes Wort, das über Herrn Hess' Lippen kommt. Ich werde ihn nachher fragen, ob er mir seine Aufzeichnungen ausleiht.
Ich schaue auf die Uhr. 11:55 Uhr. Nicht mehr lange und der Unterricht ist für diese Woche beendet. Wochenende! Hm, gibt es etwas Schöneres?
Es klopft an der Tür zum Klassenzimmer. »Herein!«, ruft Herr Hess mit lauter Stimme. Die Tür öffnet sich langsam und Tom streckt seinen schwarzen Haarschopf herein. »Herr Krause? Was kann ich für Sie tun? Wir haben eigentlich noch Unterricht, ich hoffe daher, es ist wichtig.« Hess sieht Tom mit einem autoritären Blick an, der aber, verzerrt durch seine dicken Brillengläser, nur lächerlich aussieht.
»Selbstverständlich ist es wichtig, Herr Hess.« Tom schafft es sogar, ehrlich empört zu klingen. »Ich bin hier im Auftrag von Herrn Direktor
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