Chaosprinz Band 1
Richtung Bushaltestelle und winkt uns kurz zum Abschied.
»Bis morgen und vergiss nicht die Kondome«, rufe ich ihm hinterher. Eine Mutter, die ihre vielleicht elf oder zwölf Jahre alten Mädchen abholt, schaut mich entsetzt an. Ich beiße mir auf die Unterlippe, unterdrücke ein Lachen und greife schnell nach Lenas Handgelenk. Kichernd schlendern wir zum Daimler. Ich stöhne unter dem zusätzlichen Gewicht von Marias Sachen.
»Was hat die da drin? Ihren gesamten Kosmetikschrank?«, fragt Lena grinsend.
»Nee, der passt in keine Tasche dieser Welt«, meine ich ernst. Wir schweigen eine kleine Weile. Einige Meter von uns entfernt stehen Jan und Dirk mit drei weiteren Kumpels.
Sie entdecken uns. Dirk nickt kurz zur Begrüßung, Jan winkt und lächelt. Wir winken zurück.
»Er ist nett zu dir«, bemerke ich leise.
»Hm!« Lena schaut mich an. Ihr Blick ist ernst, sie grübelt über irgendetwas.
»Hat er dich noch einmal auf die ganze Sache angesprochen?«
»Nein, nicht direkt, war aber auch irgendwie nicht nötig… Wir waren uns ja absolut einig, was die ganze Geschichte angeht«, erklärt sie ruhig.
»Vielleicht glaubst du auch nur, dass ihr euch einig wart, und er will nun doch mehr von dir…«
»Das glaube ich nicht, Tobi.« Lena schüttelt entschieden den Kopf.
»Aber er ist so nett…«
Sie will mir gerade antworten, als wir unterbrochen werden.
»Hey, wen haben wir denn da?« Tom kommt auf uns zugesprungen.
»Toller Auftritt«, lobe ich ihn und lasse mir einen feuchten Schmatzer auf die Wange geben, Lena bekommt dieselbe Begrüßung.
»Konnte ich dich beeindrucken?«, fragt er grinsend. Ich nicke mit hochgezogenen Augenbrauen. »Super, das war doch alles, was ich wollte.« Er zwinkert mir frech zu.
Melanie, Anja und Alex, die Tom langsam gefolgt sind, bleiben neben ihm stehen.
»Hi«, sagt Anja freundlich. Ihr glattes, braunes Haar fällt ihr glänzend auf die Schultern, der modische Pullover betont ihre zierliche Figur und ihre langen, wohlgeformten Beine kommen in den dunkeln Jeans sehr gut zur Geltung.
»Hi«, sage ich etwas tonlos. Mein Blick fällt auf die Finger ihrer linken Hand. Sie umklammern Alex rechten Unterarm. Wie dünne, nackte Spinnenbeine klammern sie sich an ihn, bohren sich in den Stoff seines Hemdes, gierig, als wolle sie ihn einfach nicht mehr loslassen.
Mein Blick wandert von ihrer Hand über seinen Arm, die Schulter, seine Brust, den Hals, den Adamsapfel bis zu seinem Gesicht. Er sieht mich an und kurz, ganz kurz, kann ich es in seinen Augen blitzen sehen…
Meine Welt bleibt stehen! Nur für eine Millisekunde. Wäre dies ein besonders schlechter amerikanischer Teenie-Liebesfilm, dann hätten sich wohl alle in Zeitlupe bewegt, während irgendein kitschiger Lovesong im Hintergrund ertönt wäre.
Mit roten Wangen schenke ich Alex ein schüchternes Lächeln und freue mich wie irre, als er es vorsichtig erwidert. Himmel, ich hab sie doch nicht mehr alle, oder? Kaum sehe ich ihn mal ein paar Stunden nicht, schon drehe ich durch vor Wiedersehensfreude.
Dirks laute Stimme reißt mich aus meinen Träumereien. Er und Jan sind gerade zu unserer kleinen Gruppe dazugestoßen. Melli schlingt gleich einen Arm um Jans Hals und zieht ihn zu einem stürmischen Kuss nach unten. Er wird ein bisschen rot, beendet den Kuss recht schnell und linst unauffällig zu uns herüber. Ich stoße Lena mit dem Ellenbogen in die Seite und ziehe vielsagend eine Augenbraue nach oben.
»Offensichtlicher geht es doch wohl nicht mehr, oder?«, flüstere ich ihr zu.
»Nein.« Sie sieht mir in die Augen. Irgendwas an ihrer Haltung irritiert mich. Ich will sie darauf ansprechen, als Anja sich an mich wendet.
»Tobi, hast du heute bei Lena übernachtet?«, fragt sie neugierig und mit einem Grinsen auf den Lippen. Melli und sie schauen sich grinsend an. Blöde Schlampen, denken wahrscheinlich, dass sie uns nun los sind. Pah! Pech gehabt!
»Seid ihr nun ein Paar?«, fragt Dirk und obwohl seine plumpe Art nur selten gut ankommt, ist mir diese Ehrlichkeit tausendmal lieber als versteckte Sensationslust. Lena wirft mir einen Ich-hab's-dir-doch-gesagt- Blick zu.
»Wir sind nicht zusammen«, sage ich vollkommen ruhig und lächelnd.
»Wir sind nur gute Freunde«, ergänzt Lena genauso entspannt.
Natürlich sind wir uns darüber im Klaren, dass unsere Erklärung gerade total klischeehaft und schwach klingt, aber was sollen wir dagegen tun? Ihre Blicke zeigen ganz deutlich, dass sie uns nicht ein Wort glauben.
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